: Der nördlichste Weinberg der Welt
Die Potsdamer Bundesgartenschau lenkt das Augenmerk auf einen unterschätzten Wirtschaftszweig. Nach 200 Jahren Pause ist der brandenburgische Weinbau schwer im Kommen. An diesem Wochenende wird die Anbaufläche schon wieder erweitert
von RALPH BOLLMANN
Andernorts werden Weinberge zur Erntezeit gesperrt, in diesem hier sind Besucher stets willkommen. Ein Lehrpfad macht mit den Rebsorten vertraut, in der Mitte des Areals hält der Winzer am Wochenende Flaschen für Probe und Verkauf bereit – und am höchsten Punkt warten Tische und Bänke auf die Besucher, die beim Schlotzen ihres Vierteles den Blick über Rebstöcke hinweg auf Seen und Hügel schweifen lassen können. Ganz so, als säßen sie in einer Stuttgarter Besenwirtschaft oder in einem Vorort Wiens beim Heurigen.
Bis zum Sommer soll sogar eine neue Aussichtsplattform installiert sein – ein Projekt der Bundesgartenschau in Potsdam, die gerade begonnen hat. Und am kommenden Wochenende sollen neue Rebstöcke der roten Sorten Dornfelder und Regent gepflanzt, die Anbaufläche mithin auf fast sechs Hektar erweitert werden.
Winzer Manfred Lindicke hat große Pläne – und gute Aussichten. Zwar ist „Wein aus Brandenburg“ alles andere als ein eingeführter Markenname, doch gerade das bietet den Reiz des Exotischen: Es handelt sich um die „nördlichst gelegene, weingesetzlich erfasste Weinlage der Welt“, wie es Lindicke umständlich, aber korrekt ausdrückt.
Würde er einfach von der „nördlichsten Lage“ reden, dann könnte zum Beispiel der Berliner Stadtbezirk Kreuzberg beleidigt sein, der auf dem gleichnamigen Hügel ebenfalls ein paar Reben angepflanzt hat. Aber diese sind eben nicht gesetzlich klassifiziert: Was die Kreuzberger letztlich in ihre Flaschen füllen, kann niemand kontrollieren.
In Brandenburg ist das anders. Der Werderaner Wachtelberg gehört, obwohl fast 200 Kilometer weiter nördlich gelegen, offiziell zum Anbaugebiet Saale-Unstrut. Dort, bei den Behörden des Landes Sachsen-Anhalt, reicht Winzer Lindicke seine Produkte zur amtlichen Qualitätsweinprüfung ein, und dort lässt er sie auch verarbeiten, solange er noch keine eigene Kellertechnik besitzt: Im Herbst liefert er seine Trauben im traditionsreichen Landesweingut Kloster Pforta ab, und im Frühjahr kommt der fertige Wein nach Werder zurück.
Weinbau in der Mark Brandenburg: Das ist kein Spleen, sondern die Wiederbelebung einer großen Tradition. Mit den Zisterziensermönchen waren die Reben im Mittelalter ins Land gekommen. „Baruther Wein in der Chur Brandenburg ist offt dem Rheinischen gleich und wird von grossen Herren fleissig aufgekaufft“, rühmte Pfarrer Johann Coler Ende des 16. Jahrhunderts. Rund hundert Jahre später, zur Zeit des Großen Kurfürsten, war allein in Werder eine Fläche von 100 Hektar mit Reben bepflanzt – zwanzig Mal so viel wie heute. Der Hofarzt des Monarchen lobte die „angenehme Lindigkeit“ des Werderaner Weins.
Der Abstieg kam mit Friedrich II., den ein Weinfreund schwerlich als „den Großen“ bezeichenen kann. Mit dem gleichen praktischen Reformeifer, mit dem er die Kartoffel in Brandenburg heimisch macht, verlangte er nach dem Frostwinter 1739/40, die märkischen Winzer sollten ihre Reben abholzen – und stattdessen Getreide anbauen. Im 19. Jahrhundert tat der Bau der Eisenbahn ein Übriges. Gegen den Rheinwein konnten die heimischen Produkte weder beim Preis noch bei der Qualität bestehen. Aus Weinbauern wurden Obstbauern.
Folgerichtig war es auch die „GPG Obstproduktion“, die in den Achtzigerjahren wieder an die Tradition anknüpfte. Bis 1990 stieg die jährliche Produktion auf 175 Hektoliter. Mit der Vereinigung schien die kurze Renaissance des Weinbaus schon wieder beendet. Die Auflösung der Genossenschaft ließ die alten Eigentumsansprüche wieder aufleben. Manch ein Eigner hätte lieber Geld als Weintrauben geerntet und das Areal in Bauland umgewandelt. Doch die Stadt ließ sich nicht erweichen, weil sie die touristischen Chancen des Weinbergs witterte.
Dass der Weinbau in der Mark kein Hirngespinst ist, beweisen nicht nur die Weine (siehe Kasten) – auch ein Gutachten der Versuchsanstalt für Weinbau in Bad Kreuznach bestätigte das Potenzial des Werderaner Wachtelbergs. Durch die zahlreichen Seen ringsum werde das Mikroklima „temperaturausgleichend beeinflusst“, der Wetterverlauf unterscheide sich nicht wesentlich von traditionellen Weinorten wie Würzburg oder Ahrweiler.
Wer weiß: Wenn der Treibhauseffekt noch ein bisschen nachhilft, dann ist der Weinbau in Brandenburg eines Tages vielleicht so selbstverständlich wie in Franken oder an der Ahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen