: Bildung for Vizekanzler
Ab morgen beginnt ein Reigen tiefgründiger Bildungsveranstaltungen. GEW, BLK, HRK und Böll reden über Gesamtschule, rechte Gewalt, Hochschulautonomie und „several important shifts“. Oder wird der wahre Möllemann doch Vizekanzler?
von C. FÜLLER und I. SIEMES
Das Thema steht ganz oben auf der Agenda. Bildung ist en vogue. Kein Landtagswahlkampf ist mehr ohne Unterrichtsgarantie zu gewinnen. Das Versprechen, mehr Ganztagsschulen einzurichten, findet seinen Weg durchs Präsidium der SPD bis in die Agenturen. Fehlbewertungen sind bei der Hausse des Themas unvermeidbar. Auch ist eine merkwürdige Spaltung zu beobachten: Jene, die von Berufs wegen oder schon immer übers Lernen sprechen, bleiben sauber getrennt von den Bildungs-Newcomern. Denen, die mit der sicheren Spürnase fürs Stimmenträchtige Megathemen küren und mehr Lehrer einstellen. Während sie für ihre Sofortmaßnahme zielsicher Mikrofone und Kameras finden, verlieren sich die anderen in den Untiefen komplizierter pädagogischer Begründungen. Kommendes Wochenende ballen sich solche triefgründigen Veranstaltungen. Die taz hat einen präventiven Rundgang gewagt.
Die Trutzburg
So genannte Schupopos werden bei der GEW in Lübeck diskutiert. Schupo? Popo? Will die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft etwa die polizeilichen und pädophilen Aspekte des Lehrerberufs zum Thema machen? Sollen Sex und Crime die Delegierten zum Großen Gewerkschaftstag locken? Nein. Die GEW bleibt seriös. Die Organisation mit stolzen 270.000 Mitgliedern will wählen. Und Grundsätze verabschieden. Keine schlechte Zeit eigentlich, als Erziehungsgewerkschaft jetzt ein Topthema wie Bildung mit einem Kongress bedienen zu können.
Aber keine Sorge. Die GEW wird am Wochenende keinen medialen Trompetenstoß in die Republik senden, der den Menschen etwa ein mitreißendes oder gar verständliches Politikangebot für die dringende Reform von Schulen zu Ohren bringt. Die Gewerkschaft ist mit sich selbst beschäftigt, und damit das nicht so sehr auffällt, hat man sich für Samstag und Sonntag erst mal Promis eingeladen. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse werden sprechen, und – wie ginge es anders, man ist in Lübeck – Günter Grass liest. Dann ist das Wochenende vorüber, die Kameras ziehen ab – und der Streit kann beginnen.
Die „Schupopos“ sind nämlich die „schulpolitischen Positionen“. Darin geht es um die Gesamtschule, und man fragt sich spontan: Wieso das? Warum jetzt? Die Schlachten um die Gesamtschule sind geschlagen. Nicht mal in den Hauptkampfgebieten, in Nordrhein-Westfalen oder Hessen, raucht noch irgendein Colt wegen der Frage, ob man Haupt-, Real- und Oberschulen auch zusammenfassen soll. Mit den Schulleistungsvergleichen und der „Elite fördern!“-Debatte ist eigentlich ganz anderes Top.
Wieso also Gesamtschule? Die GEW will sich über ihre Grundlagen verständigen, will die schulpolitische Utopie eines möglichst langen gemeinsamen Lernens für sich neu formulieren. So weit, so gut. Grundgesetze sind wichtig für Organisationen. Aber die Selbstverständigung kann in Lübeck leicht in die Selbstzerfleischung münden. Denn in den Trutzburgen der GEW-Häuser ist die Gesamtschule eine Art Codewort, eine Chiffre, an der sich Freund und Feind scheiden. Der Witz ist dabei, dass die einen nicht etwa für sie, die anderen gegen sie wären. Nein, die Frage ist, wie stark man für sie ist, mit welcher Zeitperspektive, welche Zwischenformen man dulden möchte.
Der Hauptvorstand der GEW hat sich entschieden, mit einem Antrag „Eine Schule für alle“ die Utopie der Gesamtschule anzustreben – notfalls indem man Sekundarschulen oder andere Zwischenformen zulässt. Das will der Arbeitskreis Gesamtschule der GEW überhaupt nicht. Gesamtschule pur, lautet deren Losung. Sonst gebe man seine Identität auf, sein Ziel und sein Wollen. So schreiten die Bataillone also aufeinander zu. Unversöhnlich. Der zuständigen Dame aus dem Hauptvorstand ist schon ganz bang. Recht hat sie. Vor vier Jahren haben die abdelegierten GEW-Pädagogen ihren Boss Dieter Wunder, einen liberalen und klugen Mann, vom Thron gestoßen; vor zwei Jahren sagten die GEW-Genossen Nein zur Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Man darf gespannt sein, was bei der GEW los ist. www.gew.de
Das Küchenkabinett
Eine „Fishbowl“-Diskussion über Gewalt und Schule hat die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) vor. In der Mitte sitzen die Goldfische, und wenn’s einen aus dem Publikum juckt, soll er den freien Platz zum Diskutieren einnehmen. Ab morgen gehen sie auf die Suche: „Wo sind die Demokraten?“ Und nach der „Gefährdung der Entwicklung demokratischer Kultur durch Fremdenfeindlichkeit, Gewalt, Rechtsextremismus und Apathie“.
Die BLK unter Vorsitz des bayrischen Wissenschaftsministers Hans Zehetmair (CSU) ist eine Art Küchenkabinett hoher Beamter, eine klandestine Bürokratenversammlung, die normalerweise das Licht der Öffentlichkeit scheut. Mit dem Kongress wagen sie sich, endlich, einmal an die Öffentlichkeit. Eine Revolution.
Doch weniger Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ soll über dem Treffen schweben, sondern die demokratischen Werte. Das alte bildungspolitische Hausmittelchen der Christdemokraten findet sich allüberall bis Samstag in Vorträgen und Arbeitskreisen, tituliert etwa mit „Der Aufbau demokratischer Tugenden“. Als Hauptproblem sehen die Bildungsexperten, gespeist aus dem so genannten Weinheimer Kreis, dass „grundlegende Wertprämissen der Demokratie“ von der rechtsextremen „Jugendbewegung“ nicht anerkannt würden. Das stimmt wohl. Doch hilft dagegen etwa ein antiseptisches Modellprogramm „Demokratie lernen und leben“?
Auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) wird beim Kongress einen Vortrag zum Thema Demokratie und Gewalt halten. Exakt vor der abschließenden Fishbowl-Diskussion, in der Politiker, Jugendliche und Journalisten über die gemachten Empfehlungen reden. (Kommentar von Pink Floyd: „So, so you can tell Heaven from Hell ... We’re just two lost souls swimming in a fish bowl ...?). www.blk-bonn.de
Die Machtlosen
Zur Hochschulautonomie sind der Worte offenbar noch nicht genug gewechselt. Jetzt hat die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) sie aufs Programm ihrer Jahresversammlung gehievt. Die Rektoren fühlen sich, zu Recht, machtlos. Das wurmt sie und daher wollen sie sich in Mannheim dem Widerspruch zwischen internationalem Wettbewerb und der durch den Staat eingeschränkten Selbstbestimmung der Unis widmen. Diesem Zankapfel will die HRK einen weiteren Wurmstich verpassen: Die Politiker sollen, bitte, bitte, Forschung und Lehre in die Autonomie entlassen.
Zum Auftakt der Tagung wird Jutta Limbach, Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, morgen im Rittersaal des Mannheimer Schlosses sprechen. Denn die ersehnte Freiheit der staatlichen Unis verlangt juristische Schritte bei Dienst- und Haushaltsrecht. Das „museale Dienstrecht“ und die „mutige Reform“ sollen bei der Versammlung jedoch nicht im Vordergrund stehen, erklärte uns Klaus Landfried, Präsident der HRK. Mit den von Bulmahn favorisierten Juniorprofessuren werde der richtige Weg eingeschlagen, um Markt- und Leistungsautonomie der Unis zu stärken.
Landfried, Verfechter einer Liberalisierung, will einen anderen etatistischen Stein des Anstoßes diskutieren: „Die Eigenverantwortung von Forschung und Lehre ist bei staatlicher Vollfinanzierung ein schwieriger Prozess.“ So seien Politiker peinlich darauf bedacht, möglichst viele Abiturienten in die Unis zu bringen, und die einzelnen Hochschulen hätten keine Möglichkeit mitzuwirken; sie dürfen sich nicht aussuchen, wen sie Aristoteles, Astrophysik und Anatomie lehren. Selbst die Forschung werde von Politikern mitbestimmt durch „das Instrument der staatlich geförderten Auftragsforschung“. Starke Themen, komplex verpackt. Aber Entscheidungen werden auf der Tagung des freiwilligen Zusammenschlusses von 257 Hochschulen ohnehin nicht fallen. www.hrk.de
Die Visionären
Die modernsten Bildungsbürger sitzen am Hackeschen Markt in Berlin, und sie sind mindestens so schick wie das Edelcenter von Mitte. Auf der Galerie des think tanks von Bündnis 90/Die Grünen finden sich Birkenstockträger eher selten. Und wenn, dann sind sie empört, weil sich hier die Alfred-Herrhausen-Gesellschaft ein Stelldichein gibt, weil Bölls gerne die Stiftungstocher des Bertelsmann-Konzerns einladen und auch ein offenes Wort über das Unsagbare pflegen: Studiengebühren.
Diesmal, wenn’s in der Humboldt-Uni um die Wissensgesellschaft also solche geht, kommt nicht nur DaimlerChrysler, sondern die Creme der Welt-Wissengesellschaft: Richard Sennett von der London School of Economics räsonniert mit anderen, ob die Wissensgesellschaft eine des Risikos ist. Auch Ex-Computer-Chaot Andy Müller-Maguhn (Hamburg), Shiv Visvanathan (Delhi), Hans Weiler (Stanford) und und und kommen. Nancy Fraser wird einleitend über die Wissensgesellschaft bemerken: It is clear that several epochal shifts are underway. One important shift is from a fordist phase of capitalism, centered on mass production, strong labor unions, and the normativity of the family wage, to a postfordist phase, premised on niche production, declining unionization, and increased female labor-force participation. Wie, haben Sie nicht verstanden? Sollten Sie aber. Denn bei Bölls gibt es ganze Podien in Englisch, und das ist der sicherste Weg, dass die grüne Bildungspolitik garantiert jeder verstehen wird. Schließlich gilt es, die aufholende FDP zu schlagen. www.boell.de
Der Möllemann
Ach ja, die Liberalen. Gerade hat ein Journalist bei einem anderen Kongress gesagt, die seien komplett inhaltsfrei hinter der 18-Prozent-Wähler-Fassade, die sie gerade hochwinden. Das mag so sein. Aber am Wochenende wird Guido Westerwelle, der der wahre Möllemann ist, den Vogel abschießen. Er wird nicht viel über Lernen sagen, schon gar nichts Tiefgründiges. Aber er wird in die Medien kommen, weit vor GEW, BLK, HRK und Heinrich Böll. Westerwelle wird sagen, die FDP will in der nächsten Bundesregierung den Bildungsminister stellen. Und der soll Vizekanzler sein. Eine wunderbare Idee – für Seite 1. www...
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen