piwik no script img

Neue Nischen

Was aus der Ostberliner Musikszene nach der Wende geworden ist: „Achtung! Wir kommen“ in der Brotfabrik

Es ist dann doch wieder Aljoscha, der für die großen Worte zuständig ist: „Musik ist das Einzige, was die Leute heutzutage noch miteinander verbindet.“ Dieser Satz von Alexander „Aljoscha“ Rompe, Mastermind der Punkband Feeling B und legendäre Figur der Prenzlauer-Berg-Subkultur, leitet „Achtung! Wir kommen“ ein und kann als inoffizielles Motto dieser Dokumentation fungieren, die nachzeichnet, wie Ostberliner Musiker die Nachwendezeiten überstanden haben – oder eben nicht.

In Aljoschas einleitendem Satz ist alles drin: die Motivation, sich jahrelang durch vergammelte Übungskeller und verranzte Clubs zu spielen; ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter Musikern; vor allem aber die Trauer um den Verlust der heimeligen DDR. Damals, das meint dieser Satz und meint auch dieser Film, hatte man, wenn auch kein Ziel, so doch zumindest einen gemeinsamen Feind: das diffuse Gefühl Anti-DDR als Verbindendes. Als es diesen Feind nicht mehr gab, musste man sich neu orientieren. So suchen Blind Passengers, The Inchtabokatables, Skeptiker oder In Extremo nach neuen Nischen, als die alten sich verschließen.

Mit ihrem Song „Wo ist die DDR?“ brachten Feeling B diese seltsame Verlorenheit damals ironisch auf den Punkt. Ihre Trennung schließlich ist exemplarisch, der Film liefert die Bilder dazu: Aljoscha macht weiter wie gehabt, Paul und Flake dagegen, die restlichen zwei Drittel von Feeling B, basteln mit ihren neuen Kollegen von Rammstein im verschlafenen Eichwalde konzentriert an ihrer Karriere. Was der Film nicht mehr zeigt: Aljoscha starb im letzten November vereinsamt in einem Campingbus, Rammstein stehen heute an der Spitze der Charts.

Dieser Film von Carl G. Hardt, der einst schon „Flüstern & Schreien“ produzierte, jenen Film, in dem erstmals die Existenz des DDR-Undergrounds dokumentiert wurde, hat vor allem ein Problem: Er kann sich nicht entscheiden. Ihm stand, so scheint es, nach jahrelanger Filmerei zu viel zu gutes Material zur Verfügung. Da tragen die Rammsteiner noch ganz bescheiden ihre Boxen in den Veranstaltungssaal, da steht Paul Gitarre spielend auf der Bühne, lacht über das düstere Pathos seiner eigenen Band und erzählt schließlich: „Jeder isst, was ihm schmeckt, und dann kacken sie alle in einen Topf: Das ist Rammstein.“

Anstatt aber den sich anbietenden exemplarischen Lebenslinien zu folgen, springt der Film geradezu panisch von Band zu Band. Er gibt der Musik angemessen Raum, lässt aber die Protagonisten kaum zu Wort kommen. So erfährt man wenig mehr als persönliche Befindlichkeiten, zu viel aus dem Bauch der Bands und zu wenig, was darüber hinausweist, zu wenig, was vom Leben in Wendezeiten, von menschlichen Neuorientierungen erzählt.

Dieses Chaos ist womöglich auch der Struktur von Hardts Film geschuldet. Dem Zufall, dass der Musiker Christoph Zimmermann exakt zehn Jahre nach dem 9.November 1989 bei einem Flugzeugabsturz in Mexiko ums Leben kommt, will Hardt unbedingt eine historische Dimension zugestehen. Nun ziehen sich Hinweise darauf, dass Zimmermann bei allen beteiligten Bands in irgendeiner Form mal mitgespielt hat, durch den Off-Kommentar, ohne dass Zimmermann selbst ein einziges Mal im Bild auftaucht oder von einem Beteiligten erwähnt wird. So wird die filmische Klammer zu einer nur schlecht sitzenden Zwangsjacke. THOMAS WINKLER

„Achtung! Wir kommen“. Deutschland 2001, 108 Min. Tgl., 21 Uhr, Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen