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„Keep Out!“

Eine Seuche vertreibt die Urlauber von der Insel: Die MKS bringt die Tourismusindustrie in Großbritannien zum Verzweifeln. Zahlreiche Bauern schließen Wanderwege. Mit Werbekampagnen im In- und Ausland will man Besucher zurückholen

Viele Veranstaltungen landesweit fallen aus Furcht vor der MKS einfach aus

von KLAUS HILLENBRAND

Die Beziehungen zwischen dem Clan der McDonalds und dem der McLeods auf der Hebrideninsel Skye standen lange Zeit nicht zum Besten. Jahrhunderte lang beherrschten die McDonalds den Süden des rauhen Eilands, während die McLeods von Dunvegan Castle aus dem Norden regierten. Gälisch war beider Muttersprache, eigene Soldaten gehörten zum Selbstverständnis und die schottische Hauptstadt Edinburgh – erst recht London – war weit weg.

Zwischenzeitlich gehören Schottland und die Hebriden zum Vereinigten Königreich, die Privatarmeen sind abgeschafft und das Englische kam in Gebrauch. Armadale, der Sitz der McDonalds, ist leider vor 146 Jahren ausgebrannt. Dunvegan Castle steht zwar weiter unbeschadet auf einer Klippe über dem Atlantik, doch John McLeod of McLeod, der 29. Chief der Clandynastie, sieht sich gezwungen, eine ganze Etage seines historischen Gemäuers bürgerlichen Besuchern zu öffnen: Mithilfe der Eintrittsgelder erhält er seinen Besitz . Und auch Godfrey James McDonald of McDonald erlaubt fremden Menschen den Eintritt in den feinen Schlosspark und ließ einen großen Parkplatz und den umfangreich sortierten Souvenirshop errichten. Doch jetzt haben beide Clans, die McDonalds und die McLeods, ein gemeinsames Problem: Es kommen kaum Besucher.

„Ganz schlecht“ seien die Einnahmen, berichtet die würdige Dame in Dunvegan Castle, die den wenigen Besuchern den Weg durch die Räumlichkeiten weist: „So schlecht war es überhaupt noch nie.“ Bei den McDonalds ist man froh, wenn einer der wenigen Besucher eine Miniflasche McDonalds-Whiskey zu 2,75 Pfund im Andenkenladen ersteht.

Die Insel Skye lebt in erster Linie von Touristen und Schafen. In dieser Reihenfolge. Jetzt sind die Gatter zu den Schafswiesen versperrt, und die Urlauber werden zur seltenen Spezies: Maul- und Klauenseuche. „Keep out!“ lautet der Hinweis an den verrammelten Eingängen zu vieler Wanderwege, und selbst der Dorffriedhof von Kilmuir darf nicht mehr betreten werden. Dabei ist die Tierseuche hunderte Kilometer weit entfernt. Nur im Süden Schottlands ist die Maul- und Klauenseuche bisher aufgetreten, und auch in England und Wales ist der weitaus größte Teil des Landes MKS-frei. Doch die Angst der Landwirte und Schafzüchter vor dem Einschleppen von „Foot and Mouth“ durch Zweibeiner hat dazu geführt, dass die gesamte Tourismusindustrie Großbritanniens um ihre Zukunft fürchten muss. 64 Milliarden Pfund (etwa 200 Milliarden Mark) bringt das Geschäft mit den Urlaubern auf der britischen Insel jährlich ein – vier mal so viel wie der gesamte Agrarsektor. Um rund 10 bis 20 Prozent sind die Einnahmen bisher gesunken. Kaum jemand glaubt noch, dass daran das schlechteste Wetter seit 1976 schuld ist. Bis zum September, lautet eine Schätzung des Zentrums für Wirtschafts- und Business-Studien, könnten rund 5 Milliarden Pfund (circa 16 Milliarden Mark) verloren gehen. Allein Schottland verzeichnet Woche für Woche Mindereinnahmen in Höhe von 10 Millionen Pfund. Dabei hat die Saison noch nicht begonnen.

Vor allem kleine Unternehmen kommen wegen der fehlenden Besucher mehr und mehr in Nöten. „Sie kommen trotz der Maul- und Klauenseuche?“, lautet die überraschte Frage mancher älteren Dame, die mit Bed & Breakfast ihr Geld verdient. Zu viele Zimmer stehen leer. Gestandene Hotels greifen angesichts der Lage zu verzweifelten Maßnahmen: „Wegen geschlossener Berg- und Wanderwege“ hätten Wanderer und Kletterer in den schottischen Highlands ihren Besuch storniert, schreibt das Bridge of Orchy Hotel freimütig in einer Anzeige und bietet deshalb gleich völlig kostenlose Übernachtungen in seinen Räumlichkeiten an. Einzige Bedingung: Frühstück und Abendessen müssen in dem Viersternehotel eingenommen werden.

„The countryside is open for business“, lautet die stereotype Aussage von Premierminister Tony Blair, seinen Ministern, den Tourismusmanagern, den örtlichen Fremdenverkehrsämtern. Blair schwärmt, seit er die Maul- und Klauenseuche zur Chefsache erklärt hat, fast jeden Tag in eine andere Region aus, um zu demonstrieren, wie normal die Lage doch in Wahrheit ist. Tatsächlich müssen Reisende schon gezielt darauf aus sein, um die apokalyptischen Bilder brennender Rinderherden selbst live erleben zu können. Die MKS mag eine Katastrophe für die Bauern sein, der Reisende bemerkt davon kaum etwas.

Doch die Behauptung, alle Wege und Einrichtungen für die Urlauber seien geöffnet wie immer, stimmt auch nicht. Nach einer von der Regierung selbst in Auftrag gegebenen Studie von Anfang April sind in 83 der insgesamt 119 ländlichen Regionen und Nationalparks viele Wege geschlossen, 28 stehen unter totaler Quarantäne. Tourismusminister und örtliche Behörden fechten in andauerndem Streit darum, welcher Wanderweg endlich wieder geöffnet werden darf, damit die Urlauber zurückkehren. Doch letztlich ist es die Entscheidung des Landeigentümers, ob er einen Wanderweg wieder öffnet oder nicht.

In den schottischen Highlands scheiterte die Öffnung des 95 Meilen langen West Highland Way tagelang an der Weigerung eines einzigen Landbesitzers, Urlaubern das Betreten seiner Schafweiden über ganze drei Meilen zu erlauben. „Wenn sich jemand rundheraus weigert, können wir derzeit überhaupt nichts tun. Es ist Privatland und wir können niemanden dazu zwingen, es zu öffnen“, zitierte die Zeitung The Scotsman ein ratloses Regierungsmitglied in Edinburgh. Erst nach einem Sturm der Entrüstung über „Dr. No“, wie der rebellische Schafszüchter zwischenzeitlich umgetauft wurde, und dem dezenten Hinweis, dass seine Tiere schließlich auch die öffentlichen Straßen des Dorfes benutzten, lenkte der Mann ein.

Lösbar ist der Konflikt zwischen Land- und Hotelbesitzern nicht. Verschärft wird die Situation dadurch, dass sich anders als in Deutschland in Großbritannien der allergrößte Teil des Landes in Privatbesitz befindet und landwirtschaftlich genutzt wird. „Selbst im Herzen des Landes können die Menschen die Dinge tun, die sie immer getan haben, und sich der Landschaft erfreuen, wie sie es möchten – vorausgesetzt, sie gehen nicht durch Tiergehege“, sagte Tony Blair jüngst bei einem Besuch in Devon. Damit hat er zweifellos Recht – nur fragt sich, welcher Wanderweg nicht irgendwann durch ein Tiergehege führt. Hinzu kommt, dass eine große Zahl Veranstaltungen – und keineswegs nur Pferderennen – aus Furcht vor der Maul- und Klauenseuche ausfällt, und das noch auf Monate hinaus.

So hat man in Schottland die für Juni geplante 169. Royal Highland Show, zu der im letzten Jahr 150.000 Besucher pilgerten, abgesagt. Das letzte Mal musste die traditionsreiche Veranstaltung im Zweiten Weltkrieg ausfallen. Da hilft es wenig, wenn der Zoo in Edinburgh kurz vor Ostern seine Pforten wieder öffnete – allerdings müssen Personen aus MKS-infizierten Gebieten weiter draußen bleiben.

Mit einer Werbekampagne will die britische Regierung nun Urlauber aus dem Ausland anlocken und – fast noch wichtiger – den Briten selbst wieder Lust machen, aufs Land zu fahren. Denn anders als die heimatlichen Hoteliers feiern die Reisebüros derzeit Rekordumsätze – mit Reisen ans Mittelmeer. 6 Millionen Pfund stehen zur Propagierung der Vorzüge eines Urlaubs im Vereinigten Königreich zur Verfügung. 120 Millionen Pfund sollen die Not kleinerer Tourismusunternehmer lindern helfen. In Schottland, wo der Tourismus zu einer der wichtigsten Einnahmequellen zählt, fürchtet man besonders die ausbleibenden Urlauber aus den USA. Edinburghs Tourismusminister Alasdair Morrison flog Anfang des Monats angesichts Tausender stornierter Buchungen nach New York und beging dort den Tag der schottischen Karo-Muster.

Mit seiner nächsten Reise hatte Morrison weniger Glück. Gegenüber Abgeordneten des schottischen Parlaments hatte er angekündigt, die heimatliche Insel Skye zu besuchen – aus Solidarität mit der gebeutelten Tourismusindustrie. Tatsächlich flog der Mann mitsamt Familie ins sonnige Italien.

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