phoenix zur asche:
von RALF SOTSCHECK
Der Engländer ist ein verwirrtes Volk. Jedenfalls, wenn es um Tiere geht. Während aufgrund der Maul- und Klauenseuche mehr als zwei Millionen Schweine, Rinder und Schafe abgeschlachtet und auf riesigen Scheiterhaufen eingeäschert werden, ist ein weißes Kalb, dass die Massentötung zufällig überlebt hat, zum Medienstar geworden. Phoenix, wie das Tier nach dem ägyptischen Vogel heißt, der aus der Asche aufgestiegen ist, hat es auf die Titelseiten sämtlicher Zeitungen geschafft. Vorige Woche kam das Angebot, in einer Fernsehshow mitzuspielen. Die Nation weint vor Rührung.
Und die Regierung ändert ihre Politik. Plötzlich ist die flächendeckende Tierbeseitigung nicht mehr notwendig, um die Seuche zu besiegen. Zyniker meinen, die wundersame Rettung von Phoenix hätte etwas mit den bevorstehenden Wahlen zu tun. Glaubt Premierminister Tony Blair, dass er mit der Kalbstötung seine Wahlchancen schlachten würde? Schließlich hat die Sache etwas Biblisches: Geboren am Karfreitag, sollte das Kalb gemeinsam mit allen anderen Tieren der Clarence-Farm in Devon fünf Tage später getötet werden, weil in der Nachbarschaft die Seuche ausgebrochen war. Als Beamte des Landwirtschaftsministeriums nach weiteren fünf Tagen die Kadaver in der Scheune desinfizieren wollten, spazierte ihnen Phoenix entgegen. Das Kalb habe die ganze Zeit unter seiner toten Mutter gelegen, las die Nation durch einen Tränenschleier.
Doch die Ministerialtöter kamen mit ihrer Todesspritze zurück. Da warf sich Tony Blair – bildlich gesprochen – dazwischen und rettete das weiße Volkskalb. Hätte er das auch getan, wenn Phoenix ein fettes Mastschwein oder gar eine Kakerlake gewesen wäre? Natürlich nicht, wie die Bäuerin Carolyn Hoffe feststellen musste. Sie hatte sich mit ihren fünf Schafen tagelang in ihrem Wohnzimmer verbarrikadiert, um den Häschern des Ministeriums zu entgehen. Aber holländische Zwartbles-Schafe sind eben nicht so niedlich wie ein weißes Kälbchen, sie bringen keine Wahlstimmen, und so entschied ein Gericht am Freitag, dass sie sterben müssen. Die Nation nahm es bedauernd, aber gefasst, zur Kenntnis.
Schafe sind eben nicht flauschig genug, Hamster haben es da besser. Eine auf solche Nager spezialisierte Tierschutzorganisation hat zehn Millionen Pfund auf ihrem Konto. Was machen die Hamster mit so viel Geld? Man könnte die Scheine zerhäckseln und damit die Hamsterkäfige ausstopfen, schlug John O’Farrell vor, der sich um die Labour-Kandidatur in Maidenhead bewirbt. Mit diesem Sarkasmus wird er es nicht weit bringen, da versteht der Engländer keinen Spaß.
Andererseits hat der Engländer seit Ausbruch der Maul- und Klauenseuche hunderte von Hunden ausgesetzt, da er die Köter nicht mehr Gassi führen darf, wenn sie voll sind, weil sie die Seuche verbreiten könnten. So sind auch die Tage von Phoenix gezählt, aus dem Kälbchen wird eine Kuh, da helfen auch keine Euterimplantate. Und dann kommt sie doch noch als Roastbeef auf den Mittagstisch der Nation, so wie es ihre Bestimmung war.
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