: Allein unter Soldaten
Ausländerbehörde schiebt Minderjährigen in Bürgerkriegsland Sierra Leone ab – weil er straffällig geworden war ■ Von Heike Dierbach
Dass die Menschen in Sierra Leone leiden, davon kann man sich derzeit auf der Ausstellung „World Press Photo“ im Gruner+Jahr-Haus am Baumwall überzeugen: Eine ganze – preisgekrönte – Serie widmet sich dort dem westafrikanischen Land, das seit sieben Jahren vom Bürgerkrieg geschüttelt wird. Die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde beeindrucken solche Fotos nicht: Sie haben heute morgen mutmaßlich einen 17-Jährigen nach Sierra Leone abgeschoben, weil er straffällig geworden war. Behördensprecher Norbert Smekal: „Es gibt keinen Abschiebestopp für Sierra Leone. Straffällige haben wir damals auch nach Bosnien abgeschoben.“
Jean B. (Name geändert) war im November 1998 nach Deutschland geflohen, nachdem sein Vater bei der Armee getötet worden war. Seine Mutter hatte er schon früher verloren. In Hamburg geriet er mit dem Gesetz in Konflikt und wurde mehrfach wegen Drogenhandels verurteilt, zuletzt im vorigen Sommer. Die Strafe – gemeinnützige Arbeit – hat er mittlerweile vollständig verbüßt. „Seitdem hat er sich gut entwickelt“, sagt seine Betreuerin in der Jugendpension. B. besuchte die Handelsschule.
Seine Betreuer kritisieren unter anderem, dass die Behörde sich nicht, wie sonst bei Minderjährigen üblich, darum gekümmert hat, wie der Jugendliche in Sierra Leone, wo er keine Angehörigen mehr hat, empfangen und untergebracht wird. Das konnte sie allerdings auch nicht: Die deutsche Botschaft in der Hauptstadt Freetown ist seit Jahren geschlossen – aus Sicherheitsgründen. Großbritannien, das in dem Land 400 Soldaten stationiert hat, schiebt nach Angaben des British Refugee Council generell nicht mehr nach Sierra Leone ab – wegen der Berichte der Soldaten vor Ort.
Aufgrund der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der Rebellenbewegung RUF sind nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR 500.000 Menschen innerhalb Sierra Leones auf der Flucht. Weitere 500.000 wurden von den Nachbarländern Elfenbeinküste und Guinea aufgenommen – die selbst arm sind. Tausende Kinder sind von den Rebellen verschleppt und vergewaltigt oder als Soldaten zwangsrekrutiert worden. Mittlerweile greift der Krieg auch auf Guinea über. Die UNO versucht mit 12.500 in Sierra Leone stationierten Blauhelmen, die Gewalt einzudämmen.
Das alles war aber nicht der Grund, warum Hamburg seit Jahren nicht nach Sierra Leone abschob – „wir haben keine Passersatzpapiere bekommen“, sagt Smekal. Eine Botschaftsanhörung Anfang April schuf Abhilfe: Insgesamt vier straffällige Sierra Leoner sollen nun abgeschoben werden. Vielleicht sind sie ja auf dem World Press Photo 2002 zu sehen.
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