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in fußballlandCHRISTOPH BIERMANN über sich als Sündenbock

Toi, toi, toi für die Bayern

So nett es war, sie hätten mich nicht mitnehmen dürfen. Ich selbst hatte es auch verdrängt, und so saß ich am Vorabend der schon jetzt legendären Partie des FC Schalke 04 beim VfB Stuttgart auf der Fahrt von Weinstadt-Strümpfelbach in die Stuttgarter Innenstadt im Schalker Mannschaftsbus. Rudi Assauer rauchte Zigarre, Charly Neumann schaute stumm durch die Windschutzscheibe und der kommende Manager, Andi Müller, scherzte in sein Mobiltelefon. Ich schwatzte mit einem Kollegen vom Fernsehen und Pressesprecher Gerd Voss über die Aussichten im Titelkampf und wie lustig es beim Regionaltreffen der süddeutschen Schalke-Fans gewesen war. Kurzum, es war ein netter Abend, der noch netter und länger werden sollte. Nur bedeutete er für die Titelhoffnungen der Schalker das Ende.

Ich bringe nämlich Pech. Ich bin ein mobiler Sündenbock, das steht inzwischen fest. Wann es angefangen hat, vermag ich nicht genau zu sagen; aber das erste große Desaster produzierte ich bei der Weltmeisterschaft in Frankreich. Zum ersten Mal seit dem Ende meiner Kindheit sprach ich damals im Bezug auf die deutsche Fußballnationalmannschaft wieder von „wir“. Leider konnte ich nur eines unserer Spiele sehen, das 0:3 gegen Kroatien in Lyon. Härter war ein deutsches Nationalteam seit Menschengedenken nicht mehr aufgeschlagen. Wenige Tage zuvor war ich in Paris beim Spiel meiner anderen Lieblingsmannschaft gewesen. Ich schwärmte wie ein kleiner Junge für Uche, Okocha und Yekini, natürlich flog Nigeria im Achtelfinale gegen Dänemark mit einem großen Satz aus dem Turnier. Im Finale stellte ich mich entschlossen auf die Seite der Brasilianer, die gegen Frankreich die höchste Niederlage in einem WM-Endspiel seit drei Jahrzehnten bezogen.

Wer weiß, was da in einem früheren Leben falsch gelaufen ist, hoffentlich gerate ich nicht in die Fänge der Karma-Polizei. Erst bei der WM 98 war es mir aufgefallen, doch allein die Verheerungen, die ich bei meinen Lieblingen angerichtet habe, hätten mich früher warnen sollen. Seit 25 Jahren hängt mein Herz am VfL Bochum, und für den Klub hat das immer schlimmere Folgen. Gerade steht der vierte Abstieg in nur acht Jahren fest, das ist Bundesligarekord. Das Team meiner Heimatstadt Herne übernahm ich als Zweitligist, zwischendurch stürzte Westfalia bis in die sechste Klasse durch. Das kann doch kein Zufall sein.

Im letzten Jahr etwa waren meine Sympathien bei Bayer Leverkusen. Weil sie unter Christoph Daum so hinreißenden Fußball gespielt hatten, war mir auch die bedenkliche Pharma-Fußball-Konstruktion egal. Bereit, hinterher die ultimativen Elogen zu verfassen, war ich am letzten Spieltag mit nach Unterhaching gereist. Michael Ballack war einer der aufgehenden Sterne des Teams und leitete mit seinem Eigentor das Ende des Traums vom Titel ein. Tja, und in den letzten Wochen hatte ich mich schließlich an die Fersen der von mir einst inbrünstig gehassten Schalker geheftet, um das Märchen ihres Meisterschaftgewinns zu schreiben. Auf diesem Weg war ich bis Weinstadt-Strümpfelbach und eben in den Mannschaftsbus gekommen und hatte dort all meine zersetzende Wirkung verbreitet.

Je länger ich darüber nachdenke, werde ich nun wohl Buße tun und für den Fußball in unserem Land ein persönliches Opfer bringen müssen. Die Dominanz des FC Bayern macht schließlich niemandem mehr außer ihnen selbst Spaß und ist für alle anderen demoralisierend. Zumal sie die Meisterschaft mal eben so im Vorprogramm zu dem gewinnen, was sie eigentlich interessiert, die Champions League. Von daher, es führt kein Weg daran vorbei, werde ich mich ab sofort auf die Seite des FC Bayern schlagen. Leider schaffe ich es nicht, persönlich zu kommen. Aber im Geiste bin ich bei ihnen. Effe, Scholli, Jerry und Zicko, ich drück euch kräftig die Daumen fürs Spiel in Hamburg! Den Punkt holt ihr noch. Und toi, toi, toi fürs Finale in Mailand!

Fotohinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber.

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