: Zwischen Kneipe und Blick ins Grüne
Der grüne Stadtentwicklungssenator Willfried Maier will Wohnprojekte aus der alternativen Nische holen und damit Besserverdienende in der Stadt halten ■ Von Gernot Knödler
Der Städter gerät leicht in ein Dilemma. Einerseits genießt er oder sie die Vorteile des wuseligen städtischen Lebens: den Gemüseladen um die Ecke, den kurzen Weg zur Kneipe oder ins Theater, die Möglichkeit, ungewöhnliche Bedürfnissse befriedigen zu können, den weiten sozialen Rahmen, der fast jeden nach seiner persönlichen Art selig werden lässt, die Chance, sich die Leute auszusuchen, mit denen man näher bekannt werden will. Spätestens jedoch wenn Kinder kommen, treten andere Bedürfnisse in Konkurrenz zu den Vorteilen der Stadt: eine intakte, nicht zu anonyme Nachbarschaft, Ruhe, Abgeschiedenheit, der Blick ins Grüne oder womöglich in den Garten, schließlich der Wunsch nach eigenen vier Wänden, die dann auch noch bezahlbar sein müssen.
Weil sich diese beiden Bedürfnis-Arten innerhalb der Stadt nur sehr schwer vereinbaren lassen, sind in den 90er Jahren jährlich etwa 9000 HamburgerInnen ins Umland gezogen. In der Regel waren es mittel bis gut verdienende Männer und Frauen, oft junge Familien mit Kindern. Im Durchschnitt zahlten sie 6000 Mark Steuern im Jahr, weshalb ihr Abwandern Finanzsenatorin Ingrid Nümann-Seidewinkel einen Verlust von mehr als 50 Millionen Mark jährlich bescherte.
Um diese Gruppe in der Stadt zu halten, würde der grüne Stadtentwicklungssenator Willfried Maier in der nächsten Legislaturperiode gerne die Quadratur des Kreises versuchen: Bauherren-Gemeinschaften, in denen unterschiedliche Menschen zusammen ein Grundstück bebauen, sollen das Dilemma überwinden, indem sie maßgeschneiderte Lösungen für das Wohnen in der Stadt entwickeln.
Vorbild sind die alternativen Wohnprojekte, die die grüne Koalitionspartnerin im Senat bereits in der laufenden Legislaturperiode hatte stark vermehren wollen. 800 solcher Wohnungen hätten laut Koalitionsvertrag geschaffen werden können – lediglich 238 sind es geworden.
Maier hat der taz hamburg gegenüber bereits angekündigt, dass die Bereitstellung von Grundstü-cken für Wohnprojekte Thema in den nächsten Koalitionsverhandlungen sein würde. Jetzt soll die Liegenschaft auch Baugruppen günstige Grundstücke zur Verfügung stellen. „Das ist eine Sache, die nicht nur ein Nischenthema für die alternative Szene ist, sondern für eine Mittelschicht“, glaubt Maier. Der Stadtentwicklungssenator hofft dabei auf die Einsicht seiner Kollegin vom Finanzressort, dass es sich lohnt, die städtischen Grundstücke zu moderaten Preisen abzugeben, weil jede Familie, die nicht abwandert, die Stadt stärkt: durch ihre Steuern, ihren Konsum, ihren Beitrag zu einem gesunden Gemeinwesen.
Attraktiv werden könnten Bauherren-Gemeinschaften deshalb, weil sie den TeilnehmerInnen die Möglichkeit bieten, individuelle Wünsche zu verwirklichen und zwar stärker als bei dem üblichen Kauf eines Einfamilienhauses von der Stange. Bei der gemeinschaftlichen Verwirklichung dieser Träume, können die Wohnprojekte wiederum als Vorbild dienen. „Die alternative Szene ist nicht nur Trendsetter bei der Gentryfizierung, sondern auch, was Wohnformen angeht“, sagt Maier.
Es könnte eine Vielzahl neuer Möglichkeiten gefunden werden, mit der Dialektik zwischen Abgeschiedenheit und nachbarschaftlichem Kontakt umzugehen, dem Leben für sich und gemeinsam mit anderen: von lauter schmalen, hohen Reihenhäusern über Haus-in-Haus-Lösungen und gemeinschaftlich genutzten Innenhöfen bis zu unkonventionellem Geschoss-Wohnungsbau.
Alles zusammen soll Maier zufolge dazu dienen, die langfristig absehbare „Konkurrenz der urbanen Räume um junge Familien“ zu gewinnen. Denn spätestens ab 2015 sei aufgrund des Bevölkerungsrückgangs mit „deutlichen Leerständen“ zu rechnen.
Den Leuten die Angst vor dem gemeinsamen Planen und Bauen zu nehmen und diese Prozesse zu organisieren, wird allerdings nicht einfach sein, räumt Maier ein. Die Stadt müsse dabei helfen, insbesondere dadurch, dass sie es einfacher macht, entsprechende Grundstücke zu erwerben. Ein großer Teil der Reibungsverluste bei den bisherigen Projekten hätte dadurch vermieden werden können.
Aber auch dann noch werden vielen Architekten ungeahnte Vermittlungsfähigkeiten abverlangt werden. Sie sind es, die all die unterschiedlichen Wünsche unter einen Hut bringen, dabei ein ästhetisches Gesamtkonzept verfolgen und einen Kostenrahmen einhalten müssen. Im Gegenzug würde der Wohnungsbau wieder spannend. Und die Bauherren sparten dabei sogar noch Geld, weil die Margen für die Projektentwicklungsgesellschaft wegfielen.
Architekturwettbewerbe, räumt der Stadtentwicklungssenator ein, wären bei dieser Art des Bauens allerdings nicht möglich. Lediglich so grundsätzliche Dinge wie etwa die Lage und Höhe der Gebäude und die Höhe des Erdgeschosses könnten vorgeschrieben werden. Die StadtplanerInnen müssten sich auf den Geschmack, den gesunden Menschenverstand und die vielfältigen Vorstellungen unterschiedlicher Baugruppen verlassen.
Um herauszufinden, wie Baugruppen-Projekte erleichtert werden könnten, was Teilnehmer wollen und was sie bremst, hat die Behörde eine Studie in Auftrag gegeben, die im Sommer vorgelegt werden soll. Wer Auskunft geben will, melde sich bei empirica, Stichwort „private Baugruppen“, Kaiserstraße 29, 53113 Bonn, Fon 0228/ 914 89-30.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen