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Unwillige Öffnung

Die deutsche Publizistik tut sich schwer mit ihrer NS-Vergangenheit. Morgen muss sie trotzdem darüber diskutieren. Auf dem Podium sitzt dann eine Kronzeugin: Elisabeth Noelle-Neumann

„Nach wie vor gibt es eine Tendenz zum Schweigen und Schönen.“

von STEFFEN GRIMBERG

Die Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaften, kurz, schlicht und schön DGPuK, führt trotz ihres Betätigungsfeldes rund um Medien und Journalismus eigentlich ein beschauliches Dasein jenseits der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das könnte und sollte sich jetzt ändern: Auf ihrer morgen in Münster beginnenden Jahrestagung diskutiert die Akademikervereinigung erstmals über die „Verarbeitung der NS-Vergangenheit des Fachs in Deutschland“. Schon die Formulierung macht deutlich, dass hier eine eher ungewollte Debatte angebrochen ist – in der Tat wurde die so betitelte Podiumsdiskussion erst nach langen internen Querelen nachträglich in das Tagungsprogramm eingebaut.

Auslöser der Debatte war ein Beitrag des Dortmunder Journalistik-Professors Horst Pöttker, der zur DGPuK-eigenen Zeitschrift Aviso einen Essay „Zum NS-Erbe der Kommunikationswissenschaft in Deutschland“ beigesteuert hatte, programmatischer Titel: „Mitgemacht, weitergemacht, zugemacht“ (voller Text unter www.dgpuk.de). Pöttker geht mit seiner Zunft hart ins Gericht: Das Fach blicke seiner Vergangenheit nicht offen ins Auge, schrieb er in Aviso, „nach wie vor gibt es eine Tendenz zum Schweigen und Schönen“.

Bestes Beispiel: Elisabeth Noelle-Neumann. Dass die Demoskopin, seit 1993 Ehrenmitglied der DGPuK, zur Zeit des Nazi-Regimes für Joseph Goebbels’ Edelpostille Das Reich geschrieben hat, ist längst bekannt. Noelle-Neumann selbst hat sich mehrfach dazu geäußert, teilweise durchaus selbstkritisch, wenn auch nicht entschuldigend. Dass ausgerechnet ihr akademischer Ziehvater Emil Dovifat, der seine Elogen an Adolf Hitler einfach aus den Nachkriegsausgaben seiner Bücher herausstrich, dann im Nachkriegsberlin zum Nestor der deutschen Kommunikationswissenschaften aufsteigen konnte, zeugt von der Kontinuität der akademischen Eliten. Von ihrem Lehrer Dovifat übernahm Noelle-Neumann so etwas wie die Führungsrolle des Fachs, die von ihr mitbegründete „Mainzer Schule“ beherrschte über Jahre den akademischen Diskurs über Medien und Journalismus.

Diese allseits bekannten und allseits ignorierten Sachverhalte zu problematisieren ist das Verdienst Pöttkers – und sein Problem: „Fehlerhaftigkeit, Unrichtigkeiten, Enge und Einseitigkeiten“, lautet der Vorwurf aus den Reihen der Mainzer Schule, als „deutlichen Vertrauensbruch und schlichtweg als schlechten Stil“ kanzelt der DGPuK-Vorstand im März den Aviso-Beitrag per Rundschreiben ab und unterstellt gewissermaßen in einem Aufwasch Pöttker gleich noch, Noelle-Neumann „nazistische Gesinnung zu unterstellen“.

Administrativ, so Pöttker, habe sich der Fachverband aus der Affäre ziehen wollen – wie eben schon seit Jahren das neuralgische Thema auf kleiner Flamme gehalten, eine offene Diskussion vermieden werde. Doch „da stehen nun einmal diese Texte aus der NS-Zeit, da müssen die sich mit auseinander setzen“, fordert der Angegriffene. Dass es in Münster jetzt zur öffentlichen Debatte kommt, wertet er als Erfolg: „Der Wind dreht sich im Fach“, auch mit der mittlerweile wieder in etwas ruhigeres Fahrwasser übergegangenen Auseinandersetzung innerhalb der DGPuk kann er leben – „das ist eben Kommunikation“, sagt Pöttker mit kleinem Seitenhieb auf die eigene Zunft: „Was solche Sachen auch unter der Decke hält, ist der Professoren-Komment. Erst sagt man so etwas nicht aus Kalkül, schließlich will man im akademischen System noch etwas werden.“ Doch dann werde man in ebendiesem System sozialisiert – und halte folglich weiter still.

In Münster werden sich Pöttker und Noelle-Neumann auf dem Podium treffen – beide begleitet von einem Sekundanten ihrer „Schule“. So viel zur neuen Offenheit der DGPuK.

Die alte Denke ist natürlich auch noch da: „In erster Linie richtet sich unsere Kritik (...) gegen die Vorgesehensweise des verantwortlichen Aviso-Redakteurs“, heißt es jetzt in einer vorstandlichen „Stellungnahme“. Denn der habe „ohne Rücksprache mit dem Vorstand“ Pöttkers Beitrag aufgenommen.

Der zuständige Redakteur nun heißt Michael Haller, war bis 1990 bei der Zeit, lehrt heute an der Universität Leipzig – und braucht sich um Aviso wohl nicht mehr zu sorgen: Die Einstellung des Fachorgans hatten die DGPuK-Gewaltigen schon vor Erscheinen des Pöttker-Artikels beschlossen.

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