: Sonnensegel schützen Kirchner
In Bernried hat sich der Schriftsteller Lothar-Günther Buchheim vom Olympia-Architekten Günter Behnisch ein Haus für seine Expressionisten- und Afrika-Sammlung bauen lassen. Statt Museumswänden für die Kunst bekam er eine Villa mit Seeblick
von IRA MAZZONI
Es ist ein bayerisches Wunder geschehen. Lothar-Günther Buchheim wird von seinem Betreuer Waldemar im Rollstuhl durch sein Museum geschoben. Immer schneller, ein Tross von Fotografen und Kameraleuten im Laufschritt hinterher, um das Zielbild zu erhaschen: Buchheim vor Kirchner, grinsend über den Heidenspaß, den er wieder mal mit der Journaille treibt und – oh Wunder – nicht ganz unzufrieden mit der Kunstvilla. „Wir sind verdammt gut weggekommen.“ „Aber . . . aber . . . aber!“ – ohne brummenden Widerspruch gibt es kein Happy End.
Über ein Vierteljahrhundert lang hat Lothar-Günther Buchheim von seinem ganz persönlichen Museum geträumt. Immer wenn die Erfüllung des Traums greifbar nahe schien, wurde der Sammler unsanft geweckt. Schimpftiraden ergossen sich über die Verhinderer, die „Politkulturschranzen“ und „Sesselfurzer“. 1980 das Zerwürfnis mit der Leitung der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, Welttournee mit den Expressionisten, Verhandlungen über ein eigenes Haus in Duisburg, Ostberlin, Dresden, Chemnitz, Weimar. Fast alle wollten die millionenschwere Flachware, die Kirchners, Pechsteins und Heckels. Als Kunststudent war Buchheim mit billigen Hammelkeulen im Rucksack nach Paris gereist, um die in Deutschland verschmähten Delikatessen gegen Picasso und Braque zu tauschen, die er dann in seiner Frankfurter Galerie ausstellte. Da es in Deutschland keine Literatur zur französischen Moderne gab, schrieb er die Kunstmonografien gleich selbst. Auch über die „entarteten“ deutschen Expressionisten.
Triumphierend zog Buchheim das ein oder andere Stück aus Flohmarktkisten. Heute wird seine Sammlung auf über 200 Millionen Mark geschätzt. Museumsdirektoren bekamen begehrliche Augen, als sie den schieren Umfang des Kunsthorts schätzen lernten. Aber nicht Karussellpferde, Blechspielzeug, Orangenpapiere, Paperweights, Masken und Schattenspiele, die sich bei Buchheim eben auch angehäuft hatten. Doch sie gehören untrennbar zu seinem Makrokosmos, in dem alles mit allem zu tun hat. So träumte der Unverstandene weiter von seinem „Museum in den Wolken“ bis er von einem heiligen Nothelfer erhört wurde: Edmund Stoiber versprach 1995 nach Art des gleichnamigen dänischen Familienmuseums „ein Louisiana“ am Starnberger See für die „offensive Zukunft Bayerns“, denn zum High-Tech-Land gehöre halt auch a bisserl „bunte“ Kultur.
Und fürs Bunte, da kann Buchheim bürgen, als Schriftsteller, Maler, Fotograf, Verleger, Querulant sowie weltreisender Entdecker von Kunst, Kitsch und Köstlichkeiten. Als Standort bot der Staat die Maffei-Villa in Feldafing an. Bauunternehmer und Mäzen Roland Ernst lobte einen Architektenwettbewerb aus und wollte den Museumsbau mit 30 Millionen Mark finanzieren. Mit dem Entwurf von Olympia-Architekt Günter Behnisch waren alle Beteiligten – auch Buchheim – zufrieden, würde der Bau doch eine elegante Figur neben der historistischen Villa machen und sich harmonisch in die Landschaft fügen. Doch die lieben Nachbarn, besorgt um ihre Parkplätze und die Ruhe, strengten ein Bürgerbegehren an. Im Nachbarort Bernried rieb sich einer die Hände – Bürgermeister Walter Eberl. Sein Angebot erreichte die Buchheims prompt und war unwiderstehlich: Ein sanfter Wiesenhügel im Schlosspark zwischen „Mississippiteichen“ und „Saugraben“. Selbst die Pleite des Bauherrn Ernst konnte das Projekt nicht stoppen, der Freistaat übernahm die Kosten und die Bauleitung.
Nun gibt es das Buchheim-Museum tatsächlich. Lang gestreckt ruht es auf der sonnigen Hirschwiese im Bernrieder Park und schiebt sich Richtung Starnberger See. Ein Museum für die Wolken. Denn Architekt Günter Behnisch hat eine Staffel flacher, begrünter Dächer, Terrassen und Brücken geschaffen, die sich am Hang hinunterziehen. Zuletzt schiebt sich eine schlanke, weiße Brücke weit über den Schilfgürtel des Sees hinaus: Ein 12-Meter-Sprungbrett für die Augen.
Doch gerade diese Extravaganz, diese überbordende Spielerei mit weißen Decks und Relings verübelt Buchheim Behnisch. „Mein Museum ist das nicht“, tönt der Sammler auf der Pressekonferenz. Sieht man einmal von der verletzten Eitelkeit des verkannten Bauherrn ab, der beklagt, dass Behnisch nie mit ihm auf der Baustelle war; vernachlässigt man auch die Selbstüberschätzung des Tausendsassas, der am liebsten alles selbst in die Hand nimmt, so ist die Kritik an der Architektur durchaus berechtigt: Als Museum ist die modernistische Großvilla mit ihrer Schiffsmetaphorik völlig ungeeignet. „Wände, Wände, Wände“ habe er gewollt, schmollt Buchheim, nun habe er Balkone und Terrassen, die er alle absperren will. Denn die Leute sollen ja seine Kunst bewundern, nicht die schöne Aussicht.
Zu den beanstandeten Balkonen gehören viele Glastüren und Fenster. Überall müssen klapprige Metalljalousien runtergelassen werden, damit das Licht nicht die Exponate ausbleicht. Die Trockenbauer haben obendrein noch ein Dutzend hölzerne Schutzschilde gegen die sengenden Sonnenstrahlen aufgestellt. In einer großen Shedhalle, die sich bestens für die Produktionsstraße einer Schreinerei eignen würde, hängen die eher kleinformatigen Expressionisten verloren an den viel zu hohen Wänden. Unter den Oberlichten bauchen sich die Sonnensegel so, dass genügend Helligkeit eindringt, um die verordneten Lux-Werte für Gemälde und Grafik als Farce erscheinen zu lassen.
Seit Jahren ist bekannt, dass Buchheim sich zwecks „optischer Didaktik“ ein Nebeneinander von Malerei und Grafik, Studie und Bild wünscht. Wieso baut der Architekt dann Hallen und keine intimen Kabinette? Hat das Hochbauamt keine gründliche Bedarfsanalyse gestellt? Jetzt hat der Ausstellungsdesigner Johannes Segieth den Expressionistensaal mit keilförmigen Wandelementen möbliert und die Hängeflächen mit Eichenholzleisten eingegrenzt. Das wirkt bieder und billig. Nischen der Konzentration entstehen so nicht. „Der schlafende Pechstein“, 1910 von Erich Heckel in sommerlichem Rot vor grüner Gartenkulisse gemalt, wirkt nur müde und schlaff. Buchheim hat immer gegen die „Bilderleichenschauhäuser“ gewettert, nun hat er eins. Die Wunderkammer, die Schatzhöhle, die Feengrotte, die er einst versprach und die er bei sich zu Hause sorgsam kultivierte, dieses wahrhafte „Museum der Phantasie“, muss für die Öffentlichkeit ein Traum bleiben.
Gleichwohl sind aber auch all die Schätze des Seefahrers und Weltenbummlers mit kuratorischem Fleiß nach Herkunft und Art separiert worden. Hier „Buchheims Welt“, seine Laubsägearbeiten für den Zirkus Buffi, ein, Groschenautomat, mit dem sich der Kriegsheimkehrer ein Zubrot verdiente, dazu seine Fotos aus der Manege, die köstlichen Hinterglasbilder von Schweinedressuren und die herrlich subversiven Pipapop-Plakate; dort in einem Separee die collagierte „Blätter-Menagerie“ seiner Frau Diethild. Das Publikum darf den kindlichen Buchheim entdecken, das „Lämmchen“. Noch bleibt der U-Boot-Berichterstatter und Landser-Maler ausgeblendet.
Tief unten im Bauch des Museumsschiffes sind die afrikanischen Tanzmasken und Königsthrone hinter schwerem Panzerglas verstaut und doch dem Staub ausgesetzt. Wie im Maschinenraum eines Bootes läuft ein dickes Lüftungsrohr quer durch den Ausstellungsraum. Auf dem zweiten Deck werden Tempelfiguren wie in einem Schaufenster vor indischen Stoffen drapiert. Wenigstens dürfen die thailändischen Marionetten gegen alle museale Konvention in einem indonesischen Bettgestell hängen. Auf dem Oberdeck geht es dann volkstümlich zu: Die ruppigen Holzfiguren des Inninger Künstlers Hans Schmitt tummeln sich nicht ganz jugendfrei vor Votivtafeln und Hinterglasbildern. Ganz oben auf der Museumsbrücke funkeln die farbigen Phantasieblüten von tausenden gläsernen Briefbeschwerern in der Sonne. Weinflaschen und Teekannen stehen in massiven Vitrinen, als handle es sich um Meißner Porzellan. Selbst Scherzartikel wurden für die Präsentation seriös konservatorisch behandelt und gereinigt. So auf den Sockel gehoben, verlieren die Kuriosa ihre Selbstverständlichkeit und ihren Witz, die sie im häuslichen Chaos hatten.
Das „Museum der Phantasie“ ist eine vertane Chance. Vertan von einem Architekten, der keine Schatzhöhle gebaut hat, sondern eine luftige Villa mit Schwimmbadrückseite. Vertan von einem Sammler, der sein Leben lang in einer Wunderkammer lebt und Kuratoren barocken Mut predigt, aber dann aus lauter Ehrfurcht vor der Institution anfängt zu sortieren. Vertan von Planern und Ausstattern, die kein Auge für Details haben: Türen, Fensterrahmen, Leuchten, Spots und Heizkörper lenken auf unangenehme Weise von den Schätzen und Fundstücken ab.
Trotzdem, das Museum wird ein Publikumsmagnet werden – allein wegen seiner Lage. Und weil man mit Schifffahrt, Wiesenwanderung und Rundgang herrlich einen sonnigen Sommertag am See vertrödeln kann.
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