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Land schlingert, Koalition sturmfest

Trotz Finanzkrise übt sich die SPD in Koalitionstreue. Neuwahlen fordern nur die Opposition und die FDP. Bleibt Diepgen auch Leiter des Justizressorts? SPD-Chef Strieder widerspricht derzeitiger Möglichkeit einer rot-rot-grünen Alternative

Die Berliner SPD steht trotz Bankenkrise und der Notwendigkeit dramatischer Neuverschuldung zur Koalition mit der CDU. Nachdem am Wochenende die Berliner Landesregierung um den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen mit Kritik und Rücktrittsforderungen aus der Stadt und aus ganz Deutschland konfrontiert war, übte SPD-Landesvorsitzender Peter Strieder gestern demonstrativ Treue zum Regierungsbündniss: „Die Koalition ist dazu da, die Stadt zu führen. Es hat keinen Sinn, in dieser Situation durch Aufkündigung der Koalition die Stadt führungslos und handlungsunfähig zu machen“, sagte er dem Radiosender FAZ 83.6. Bei den jetzigen Mehrheitsverhältnissen im Berliner Parlament wäre die einzige denkbare Alternative zur SPD-CDU-Koalition ein Bündnis von Sozialdemokraten, Grünen und der PDS.

Strieder widersprach Spekulationen über „rot-rot-grün“ jedoch deutlich. Die Vorstellung, dass eine derartige Koalition „besonders berufen wäre, die gegenwärtige finanzielle Misere zu lösen, liegt zumindest nicht auf der Hand“, erklärte Strieder. Die Möglichkeit, über die Auflösung des Berliner Abgeordnetenhauses Neuwahlen und damit evtl. veränderte Mehrheitsverhältnisse und einen anders zusammengesetzten Senat zu erzwingen, schloss Strieder ebenfalls aus. Er selbst gehört dem Senat als Bau- und Umweltsenator an.

Die Bundes-SPD stützt diesen Kurs. Generalsekretär Franz Müntefering sagte gestern nach einer SPD-Präsidumssitzung mit Blick auf die Situation in Berlin: „Ich finde es gut, dass sich die Sozialdemokraten an dieser Stelle nicht vom Acker machen.“ Es sei richtig, gemeinsam mit dem Koalitionspartner CDU nach einer lösung aus der Krise zu suchen.

Ohne Initiative der SPD können Eberhard Diepgen und seine CDU nicht zu Konsequenzen aus der Bankenkrise gezwungen werden.

Dies gilt auch für die problematische Führung des Justizressorts, das Diepgen als Regierender Bürgermeister direkt leitet. Diese an sich schon hoch umstrittene Kombination, gewinnt in der Bankenkrise zusätzliche Brisanz. Diepgen ist weisungsbefugt gegenüber den Staatsanwälten, die in Sachen Bankgesellschaft ermitteln.

Bereits am Wochenende hatte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zur Affäre um die Immobliengeschäfte der Bankgesellschaft, Klaus-Uwe Benneter (SPD), gefordert, Diepgen müsse „zumindest vorübergehend“ die Leitung des Justizressorts einer Person „ohne Interessenkonflikte“ überlassen. Inwieweit sich die Spitzen der Berliner SPD Benneters Forderung zu Eigen machen werden, blieb gesten offen.

Den Rücktritt des Regierenden Bürgermeisters aus allen Funktionen fordert die Opposition. Dabei scheint die verbale Heftigkeit der Rücktrittsforderung proportional zur politischen Einflusslosigkeit zu wachsen. PDS-Fraktionschef Harald Wolf, der sich im Abgeordnetenhaus immerhin auf 33 Parteifreunde stützen kann, erklärte gestern: „Man kommt Neuwahlen nicht näher, indem man sie jeden Tag fordert.“ Die Aufgabe seiner Fraktion sieht er in den nächsten Wochen so: „Druck erhöhen, zündeln und sticheln.“ Nach gemeinsamer Sitzung erklärte die Führung der grünen Partei und Fraktion (18 Abgeordnete im Berliner Parlament): „Diepgen ist die personifizierte Verantwortungslosigkeit!“ Ein politischer Neuanfang sei notwendig, die SPD müsse „den Weg dafür ebnen, damit die Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, den Senat zur Verantwortung zu ziehen“.

Die Berliner FDP, die im Abgeordnetenhaus nicht vertreten ist, forderte ebenfalls Neuwahlen und den Rücktritt Eberhard Diepgens.

ROBIN ALEXANDER

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