: Sonderangebot bei Karl Liebknecht
Die PDS sieht in den anstehenden Neuwahlen in Berlin ihre „historische Chance“ und betrachtet eine Regierungsbeteiligung bereits als Testlauf. Schließlich sitzt die Bundesregierung auch in Berlin. Die CDU mobilisiert derweil gegen den „linken Putsch“
von ANDREAS SPANNBAUER
Der Bruch der großen Koalition in Berlin kommt Peter Strieder teuer zu stehen. Der SPD-Landesvorsitzende, am Big Bang des Bündnisses selbst maßgeblich beteiligt, hatte im vergangenen September 2000 eine waghalsige Wette abgeschlossen. Die Koalition, so gab sich Strieder damals noch überzeugt, werde bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Jahr 2004 bestehen. Nur eine Stunde nachdem die SPD am Donnerstag ihren Ausstieg aus der Koalition verkündet hatte, bekam Strieder von seinem Wettgegner, dem stellvertretenden PDS-Bundesvorsitzenden Diether Dehm, dann die Rechnung präsentiert: „Lieber Peter, ohne jegliche Häme: Aber jetzt schuldest du mir drei Kisten acht Jahre alten kubanischen Rum.“ Dieser sei, empfahl Dehm, übrigens bei der PDS-Parteizentrale im Karl-Liebknecht-Haus zu einem „Sonderpreis“ zu beziehen.
Zur Siegestrunkenheit haben die Führungsspitzen der PDS dieser Tage allen Anlass. Erstmalig ist eine Regierungsbeteiligung in der Bundeshauptstadt für die Sozialisten zum Greifen nahe. In homöopathischen Dosen hat die Berliner SPD-Führung in den vergangenen Wochen ihre Wähler an jene Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der PDS gewöhnt, die sie noch bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 1999 definitiv ausgeschlossen hatte. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Wowereit, der am Donnerstagabend als von Landesvorstand und Fraktion der SPD einstimmig als Spitzenkandidat vorgeschlagen wurde, gebrauchte gestern erneut klare Worte: Er könne, so kündigte der 47-Jährige an, eine Zusammenarbeit mit der PDS „in der einen oder anderen Form“ nicht ausschließen.
Verantwortlich für den Stimmungswechsel bei der SPD dürfte neben der Überdrüssigkeit über die zehn Jahre an der Leine von Eberhard Diepgen vor allem die nüchterne haushaltspolitische Linie des PDS-Fraktionsvorsitzenden Harald Wolf sein. Neben Wolf wird als mögliche Kandidatin für ein Senatorenamt die PDS-Landesvorsitzende Petra Pau gehandelt. Gregor Gysi, der seit längerem mit einer Kandidatur für das Amt des Regierenden Bürgermeisters kokettiert, kündigte gestern an, in der kommenden Woche seine Entscheidung über eine Kandidatur bekannt zu geben. Doch so lange Gysis Vorschlag nach einer Direktwahl des Regierungschefs ins Rote Rathaus nicht mehr als ein frommer Wunsch bleibt, stehen die Chancen schlecht. Gysi selbst kennt die Problematik: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Abgeordnetenhaus zusammengesetzt sein müsste, das mich zum Regierenden Bürgermeister wählt.“
In aktuellen Umfragen liegt die SPD derzeit bei 30 Prozent. Die PDS käme auf 16, die Grünen auf 10 und die FDP auf 6 Prozent. Damit ist die SPD auf eine Kooperation mit der PDS angewiesen. Die CDU würde zwar 33 Prozent der Stimmen erhalten und wäre damit nach wie vor stärkste Fraktion. Doch der CDU fehlen die Bündnispartner. Eine schwarz-grüne Variante schließen beide Seiten derzeit aus.
Der CDU bleibt damit nur die Flucht in die Vergangenheit. Noch am Donnerstag, wenige Stunden nach dem großen Krach, nahm der CDU-Fraktionschef Frank Steffel deshalb Tapetenkleister und Quaste in die Hand und eröffnete den Lagerwahlkampf. Großflächige Plakate sollen an das Wahlversprechen der SPD von 1999 erinnern, eine Kooperation mit der PDS sei ausgeschlossen. „Das ist der historische Sündenfall der SPD“, sagte Steffel über die Ankündigung der SPD, zusammen mit den Grünen und der PDS Eberhard Diepgen durch ein Misstrauensvotum zu stürzen und einen Minderheitensenat zu installieren, „das ist der linke Putsch.“
Die CDU hatte die SPD zu diesem Schritt gezwungen, indem sie eine Auflösung des Parlaments verhindert hatte. Die Übergangsregierung soll nun Neuwahlen vorbereiten, nach dem Willen der SPD für den 23. September. Die CDU favorisiert einen späteren Termin und hofft, dass die SPD in den Sog der erwarteten Niederlage bei den ebenfalls am 23. September stattfindenden Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft geraten könnte.
Ohnehin hat die Schlacht um Berlin und eine Zusammenarbeit mit den Postkommunisten längst bundespolitische Bedeutung gewonnen. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer warnte, mit einer Regierungsbeteiligung der PDS werde die Teilung Berlins zementiert. Vielmehr allerdings dürfte Meyer fürchten, dass ein rot-rotes Bündnis in der Hauptstadt die Oppositionsrolle der CDU im Bund zementieren könnte. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat der Berliner SPD demonstrativ grünes Licht für das rote Bündnis gegeben, auch wenn sein Generalsekretär Franz Müntefering ein Zusammengehen mit der PDS auf Bundesebene ausschließt.
In der PDS betrachtet man die Ereignisse an der Spree dagegen als Testlauf. „Das geht schneller, als wir jetzt denken“, sagt der PDS-Fraktionsvorsitzende im Potsdamer Landtag, Lothar Bisky, neuerdings über eine rot-rote Koalition im Bund. Der Griff zur Macht in Berlin sei, so jubiliert der PDS-Stratege, „eine historische Chance“. Genau dies fürchtet man andererorts. Erwin Huber (CSU), Chef der bayerischen Staatskanzlei, droht bereits damit, die Aufforderung „verhindert Rot-Rot“ in den Mittelpunkt des Bundestagswahlkampfes zu stellen.
Bei der PDS führt die lang erhoffte Gelegenheit schon zu einer Überdosis Selbstbewusstsein. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch kann sich inzwischen ein Bündnis mit der SPD auch ohne die Grünen vorstellen. Rot-Rot-Grün, meint Bartsch, sei nicht erstrebenswert. „Eine neue Regierung muss schmerzhafte Entscheidungen treffen. Und das geht besser in einem Zweierbündnis.“
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