: „Das Ziel ist der Server“
Wer hat die Lufthoheit im Cyberspace? Gegen die Lufthansa und das Geschäft mit der Abschiebung zielt eine von Künstlern der Gruppe „kein mensch ist illegal“ organisierte virtuelle Demonstration
Interview JOCHEN BECKER
taz: Deportation ist mit Blick auf die deutsche Geschichte eine aufgeladene Vokabel. Wie kam es zur Kampagne?
Siegmund Bergmann: „deportation.class“ ist eine internationale Kampagne gegen Abschiebungen. Deportation ist hier einfach das englische Wort für Abschiebung. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Abschiebungen heute einen tiefen Rassismus zur Voraussetzung haben, steht ein Vergleich mit den Deportationen in die Konzentrationslager nicht zur Debatte und wäre völlig unzulässig. Es ging um die Frage, wie man diese ganze Logistik der Abschiebung, die ja teilweise vom Bundesgrenzschutz paramilitärisch organisiert wird, stören kann. Wo gibt es Schwachstellen im ganzen Prozess der Abschiebung? Von Deutschland aus gehen jedes Jahr etwa 10.000 Abschiebungen über die Lufthansa. Das könnte doch die Möglichkeit sein, durch einen Schwachpunkt im symbolischen Bereich diesen ganzen Komplex zu treffen.
Die Bordgewalt hat dabei allerdings der Pilot und nicht der BGS. Nun hat die Pilotenvereinigung Cockpit ihre Mitglieder aufgerufen, den Transport reiseunwilliger Abschüblinge zu verweigern. Wird sich damit etwas an der hundertfachen täglichen Abschiebepraxis ändern?
Bergmann: Wir versuchen, die Lufthansa zum Ausstieg aus diesem Geschäftsbereich zu bewegen, indem wir die Marke angreifen. Die Lufthansa verkauft nicht nur Flüge, die Lufthansa verkauft ein Image, dass man dort sicher fliegt und sauber fliegt. Darum ging es in der Kampagne, dieses Image anzugreifen. Wir haben das natürlich nicht alles erfunden.
Was sind die Vorbilder?
Manfred Ros: Die Kampagne gegen die KLM-Linie hat uns sehr stark begeistert, weil dort Elemente von Subversion und direkter Aktion miteinander verknüpft wurden. Weitere Kampagnen gegen Abschiebung im internationalen Kontext gab es in Belgien, direkte Aktionen gegen Air France und inzwischen auch Kampagnen und Widerstand gegen Flugabschiebungen der British Airways sowie erste Diskussionen von spanischen und österreichischen Gruppen. Gehört hatten wir davon im europäischen Zusammenhang der antirassistischen Aktionsgruppen „no borders“.
Die Kampagne „deportation.class“ haben wir ein dreiviertel Jahr vorbereitet. Zunächst brauchten wir ein Logo, ein Motto. Es gab auch eher traditionelle Parolen am Anfang: „Augen auf im Flugverkehr. Abschiebung verhindern“. Wir brauchten eine Zeitung, eine Internetpräsenz, ein Plakat. Unser ausgeschriebener Wettbewerb hat nicht nur das prämierte Plakat von einem Münchner Künstler hervorgebracht; auch das Motto „deportation.class“ ist daraus entstanden.
Spätestens seit Naomi Kleins Buch „No Logo“ ist der Angriff auf die Macht der Marke bis ins bürgerliche Feuilleton vorgedrungen. Wie geht die Kampagne vor?
Alf Lohmann: Die Lufthansa spricht ja von Markenbildung und sagt, sie sei eine Marke. Auf jeden Fall macht es uns die Lufthansa leicht, wenn sie uns über Images kommt, dann können wir das Image auch beschmutzen. Das ist eine künstlerische Herangehensweise. Militanter wäre es, jetzt den Farbbeutel zu nehmen – also low military action – und wirklich zu beschmutzen. Man kann das natürlich steigern. Wir reduzieren das, indem wir das militärische Feld mit dem künstlerischen wechseln, weil das der Kapitalismus zur Zeit anbietet.
Wir sind vehement gegen Identitätspolitik, auch in der Öffentlichkeitsarbeit. Es geht nicht um die Befestigung von Identitätsinseln, sondern um das Suchen nach den Stränden, Meeren dazwischen, und wie man da rüber kommt. In der Jury zum Plakat waren wir uns schnell einig, eine Ästhetik zu finden, die nicht die jeweilige Identitätspolitik unterstützt, sondern die als aktive Ästhetik funktioniert. Und da kommt uns der aktuelle Kapitalismus sehr entgegen. Denn die Lufthansa ist heutzutage ja nicht mehr ein Transportunternehmen, sondern es ist das Zeichen eines Transportunternehmens. Die Lufthansa ist der Hype des Fliegens an sich. Und sobald wir uns auf dieser Zeichen- und Symbolebene befinden, können wir diese Unternehmen dort auch angreifen.
Nun ist politischer Widerstand allein im virtuellen Raum kaum möglich.
Ros: Wir versuchen in dieser Kampagne, Formen von traditioneller Öffentlichkeitsarbeit mit subversiven Elementen direkter Aktionen zu verbinden. Gestartet worden ist diese Kampagne Anfang März 2000 auf der Berliner Internationalen Tourismus-Messe. Dort ist eine kleine Guppe von Aktivistinnen und Aktivisten mit blauen Kostümen und Anzügen aufgetaucht und hatten solche Halstücher um, wo nicht ganz klar war – ist das jetzt eine Lufthansa-Crew, oder sind das Anti-Deportation-AktivistInnen? Ein wichtiges Stilelement ist inzwischen, öffentlich Verwirrung zu stiften.
Dann gab es Anfang April letzten Jahres den ersten größeren Aktionstag auf verschiedenen internationalen Flughäfen in Deutschland, wo wir traditionellerweise Blockaden bzw. Aktionen gemacht haben und eine Zeitung verteilten, in der wir über Hintergründe und Ziele der Kampagne berichteten. Ziemlich am Anfang ist in einer ganz kleinen Auflage ein Flyer der deutschen Lufthansa verteilt worden, wo die Lufthansa die Einrichtung der „deportation.class“ analog zur Business Class offeriert hat. Der sah aus wie ein Werbeflyer der Lufthansa und wurde auf den Flughäfen in die Infoboxen gesteckt.
Bergmann: Der Folder für „deportation.class“ bot Preisreduzierung, wenn hinten Schüblinge sitzen: für 749 Mark nach Ho-Chi-Minh-Stadt beispielsweise.
Ros: Das hatte dazu geführt, dass die Lufthansa zwei Tage später in Frankfurt auf einer großen Pressekonferenz dementierte, dass es eine „deportation.class“ gäbe. Dabei hat uns dann auch noch ein Zufall geholfen: Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in München – gleichzeitig Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland – hat offensichtlich den Flyer mitgenommen und ist damit zum Vorstand der Lufthansa gegangen. Und das hat eine Lawine ins Rollen gebracht, wo die Lufthansa gar nicht mehr wusste, was für eine öffentliche Wirkung so eine kleine Geschichte kriegen könnte.
Der vorläufige Höhepunkt war der Auftritt einer größeren Gruppe von AktivistInnen auf der Berliner Aktionärsversammlung im Juni 2000. Die Aktionäre wurden von einer Crew begrüßt und kriegten von uns ein Investoreninfo in die Hand gedrückt, in dem der Zusammenhang von Abschiebungen und dem freien Fall des Aktienkurses beschrieben wurde. Das hat zur ersten Verunsicherung geführt.
Bergmann: Ein Internetexperte äußerte seine Befürchtung, dass es zu Kurseinbrüchen käme. Das würden die Erfahrungen aus anderen Kampagnen zeigen.
Ros: Als die Aktionärsversammlung anfing, sind AktivistInnen von uns mit Transparenten aufgestanden und haben an den Tod von Aamir Ageeb erinnert. Dann musste die Versammlung unterbrochen werden. Wir hatten vorher Aktien gekauft – AktivistInnen der Kampagne sind jetzt Kleinaktionäre der Lufthansa – und uns dadurch ein Rederecht auf der Aktionärsversammlung gesichert. Diese ganze Versammlung wurde durch das Thema „deportation.class“ dominiert.
Hat dieser Auftritt reale Folgen nach sich gezogen?
Ros: Auf jeden Fall hat die ganze Geschichte eine große Öffentlichkeit gehabt – in der Financial Times und in allen großen Wirtschaftszeitungen standen Berichte über die Aktion. Der Lufthansa-Chef verkündete schon auf der Hauptversammlung, dass sie mit der Bundesregierung über den Ausstieg aus der Beförderungspflicht verhandeln, und hatte den Rückzug angekündigt. Inzwischen glauben wir aber, dass das nicht mehr so ist, und deswegen komme ich jetzt zurück auf die kleine Ausstellung, die inzwischen in vielen Städten gezeigt wurde. Da bekamen wir ein Schreiben der Anwälte der Lufthansa, wo uns eine Schadensersatzklage in Millionenhöhe angedroht worden ist. Sie wollten diese Ausstellung zensieren – was ihnen nicht gelungen ist. Und das zeigt, dass die Imageschädigungskampagne funktioniert. Sie haben einen großen Fehler gemacht, uns eine Schadensersatzklage anzudrohen, weil wir die Kampagne so international verbreiten können. Es hat ein paar Stunden gedauert, dann erklärten internationale NetzwerkaktivistInnen ihre Solidarität und spiegelten die Ausstellung. Nun gibt es sie auf ganz verschiedenen Homepages von amerikanischen oder holländischen Servern – das verbreitete sich rasend schnell. Diese kleine Ausstellung bekommt inzwischen eine Aufmerksamkeit, von der die Lufthansa mit Sicherheit nicht geträumt hat.
Wer ist die Zielgruppe der Kampagne?
Lohmann: Wenn man an eine Zielgruppe denkt, macht man traditionelle Öffentlichkeitsarbeit. Doch in der Kampagne „deportation.class“ denken wir nicht an Zielgruppen, weil das die Vorstellung von traditionellen Massenmedien, von einem strategischen Sender, einem Führer und seinem Publikum ist. Wir beginnen die Internetkampagne, um vor der URL der Lufthansa zu demonstrieren. Unser Ziel ist der Server, und wenn der besetzt ist, wird sichtbar, dass die Lufthansa nicht die E-Commerce-Marke der Zukunft ist, die sie ihren Aktionären vorträumt. Also auch hier wieder eine Beschmutzung des Lufthansa-Images. Wir brauchen dafür ein paar tausend Mausklicks, jedoch keine Zielgruppe. Wir benötigen kein Public-Relation-System, denn Internet ist der Hype, den die Lufthansa in ihr Image integrieren will, und die Medien schreiben darüber, ganz ohne unsere Pressearbeit – weil sie daran interessiert sind.
Die Software kann unter http://go.to/online-demo oder per CD-ROM geladen werden. Die Plakatausstellung ist bis 20. 6. im Filmhaus Köln, Maybachstr. 111, und vom 22. 6. bis 22. 7. in Hamburg zu sehen. Die virtuelle Plakatausstellung erreicht man unter www.deportation-alliance.com/lh
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen