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Wenn Muslime ihre Frauen schlagen

Die Kriseneinrichtung Papatya hilft Frauen und Mädchen aus dem islamischen Kulturkreis gegen häusliche Gewalt. Debatte in der Ebert-Stiftung

BERLIN taz ■ Sie werden geschlagen, eingesperrt, sexuell missbraucht und gegen den eigenen Willen verheiratet.

Doch die Leidensgeschichte vieler islamischer Frauen und Mädchen in Deutschland dringt nur selten an die Öffentlichkeit. Tabus spielen eine Rolle, auch die wirtschaftliche Abhängigkeit und die Angst vor einer Ausweisung. In Berlin versuchen etwa 50 verschiede Projekte, Hilfe zu leisten. Immerhin leben nach Angaben der Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU) fast eine halbe Million Menschen in der Hauptstadt, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Allein 180.000 seien türkischer Herkunft. Zu Beginn ihrer Tätigkeit, Mitte der 80er-Jahre, war die Kriseneinrichtung Papatya ausschließlich auf Mädchen und junge Frauen dieser Bevölkerungsgruppe ausgerichtet. Mittlerweile werden alle Muslimminnen unterstützt.

Mit geheimer Adresse bietet sie Unterschlupf und Beratung für Minderjährige und junge Frauen, die vor Gewalt in der Familie fliehen. Viele Eltern halten in Berlin strenger an traditionellen Normen fest, als sie das vielleicht in ihrer Heimat tun würden. Ausgehverbote sollen helfen, die Töchter vor den fremden „Reizen“ fern zu halten. Jungfräulichkeit spielt hier traditionell noch eine wichtige Rolle, und so werden Ehen auch für Minderjährige arrangiert. Nach Angaben der Papatya werden 30 bis 40 Prozent der türkischen Mädchen in Berlin zwangsverheiratet. Nur wenige wagen, sich dagegen zu wehren. Eingeheiratete Mädchen und junge Frauen aus der Türkei haben es besonders schwer. Ihr gewohntes Netz an Freundinnen und Verwandten bleibt in der Heimat zurück, fortan leben sie in einer weitestgehend fremden Umgebung. Oft mit den Eltern des Ehemanns, die sich während eines Konflikts nur selten unparteiisch verhalten. Zwei Jahre lang müssen sie auf die deutsche Staatsangehörigkeit warten, die auch eine Arbeitserlaubnis mit sich bringt. Verlassen sie während dieser Zeit ihren Mann, beispielsweise aufgrund andauernder Gewalttätigkeiten, werden sie durch deutsche Behörden zurück in ihre Heimat abgeschoben, wo die eigene Familie häufig nicht mehr bereit ist, sie wieder aufzunehmen.

Auch um diese so genannten Heiratsmigrantinnen kümmert sich Papatya. In ihren Räumlichkeiten haben bis heute nahezu 1.000 Mädchen zwischen 13 und 20 Jahren Unterschlupf gefunden. Über den Berliner Jugendnotdienst gelangen die Hilfesuchenden zu der Kriseneinrichtung, die sich seit vier Jahren an der Gemeinschaftsinitiative „Daphne“ zum „Schutz für Mädchen und junge Frauen muslimischer Herkunft vor Gewalt in der Familie“ beteiligt. Die Schwerpunkte dieses EU-Projekts liegen in der Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern im interkulturellen Bereich, in der Sensibilisierung der Gesellschaft für die Probleme der Mädchen sowie im Informationsaustausch.

Dazu diente auch die im Rahmen des Daphne-Programms von Papatya und der Friedrich-Ebert-Stiftung kürzlich in Berlin abgehaltene internationale Konferenz zum Schutz vor familiärer Gewalt. Frauen aus Frankreich, den Niederlanden, Schweden und Österreich tauschten Erfahrungen aus. Dabei zeigte sich, dass es lediglich in den Niederlanden ein mit Berlin vergleichbares Modell gibt. Doch wie viele Projekte in Berlin, die sich mit Migrantinnen beschäftigen, leidet mittlerweile auch Papatya unter Finanznot. Die Summe, die die Kriseneinrichtung vom Senat bekommt, reicht seit sechs Jahren nicht mehr. Derzeit bieten EU-Projekte eine gewisse finanzielle Absicherung.

Als Nächstes plant Papatya mit Hilfe des Daphne-Programms und gemeinsam mit ähnlichen Einrichtungen in Europa, das Problem der Zwangsheirat zu thematisieren.

NINO KETSCHAGMADSE

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