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ein finger auf reisen

von RALF SOTSCHECK

Es war die größte Show seit dem Papstbesuch vor mehr als 30 Jahren. Thérèse von Lisieux war seit Ostersonntag auf Tournee in Irland, am Donnerstag ist sie wieder abgereist. Genau genommen war es aber nicht die ganze Thérèse, die auf der genauso katholischen wie grünen Insel gastierte, sondern nur ein Teil ihres Skeletts – ein Finger, ein Bein, der Beckenknochen vielleicht. Wer weiß das schon? Der Rest blieb vorsichtshalber in Frankreich. Sollten die Knochen unterwegs zu Staub zerfallen oder von einem Rudel Rottweiler entwendet werden, könnte man das Ersatzensemble auf Gastspielreise schicken.

Thérèse wurde 1873 im französischen Alençon geboren. Mit fünfzehn ging sie ins Kloster, neun Jahre später starb sie an Tuberkulose. Kurz zuvor hatte sie ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben, die später in 50 Sprachen übersetzt wurde und zum Bestseller wurde. Papst Pius X. bezeichnete Thérèse als „größte Heilige des modernen Zeitalters“. Johannes Paul II. ernannte sie 1997 zur „Doktorin der Kirche“. Diese Heuchler! Thérèses Lebensziel war es, Priesterin zu werden, was für die katholische Kirche eine grauenhafte Vorstellung ist. Aber zum Glück liegt sie ja nun in der Kiste und kann den Schnabel nicht mehr aufreißen.

Die mit Gold und Silber verzierte Holzkiste, in der die heiligen Teile reisen, wurde Thérèse zu ihrer Heiligsprechung 1925 von der brasilianischen Regierung gestiftet. Die Menschenansammlungen, wenn der zum „Thérèsemobil“ umgebaute Mercedes auftauchte, waren beeindruckend, und nicht nur in Irland. Thérèse ist bereits seit drei Jahren auf Welttournee. Dabei hat sie zu Lebzeiten nicht mal ein klitzekleines Wunder vollbracht, ihre Nonnenkolleginnen sahen in ihr nichts Besonderes.

In Irland pilgerten mehr als eine Million Menschen in den vergangenen zwei Monaten zu den heiligen Knochen. Dabei ging es zu wie in Lenins Mausoleum auf dem Roten Platz in Moskau: Die Leute wurden an der Kiste wie eine Viehherde vorbeigetrieben, stehen bleiben war verboten. Die Knochentour war ein Paradies für Rosenverkäufer. Dafür gibt es eine Erklärung: Die Gläubigen stecken im Vorbeihasten eine Rose durch eine Öffnung in der Kiste, so dass sie Thérèses Knochen berührt. Dadurch wird die Rose zur Reliquie dritter Klasse. Knochen oder Asche eines Heiligen sind erstklassige Reliquien, während Dinge, die eine Heilige zu Lebzeiten berührt hat, wie ihre Kleidung oder die Instrumente, mit denen sie gefoltert wurde, zweitklassig sind.

Die Karmeliter, denen Thérèse gehört, sind hochzufrieden. „Der Besuch hat unsere kühnsten Erwartungen übertroffen“, sagte Pfarrer Linus Ryan, der Road-Manager der Show. „Die Sache hat eine Art göttlichen Magnetismus.“ Die Karmeliter haben Heftchen für verschiedene Altersstufen produziert, damit Lehrer die Kinder fachgerecht indoktrinieren können. Wichtigstes Lernziel: „Vergib denen, die dir Schmerzen zugefügt haben.“ Die Generationen von irischen Kindern, die von katholischen Orden physisch und psychisch gefoltert wurden, werden es wohlwollend in Erwägung ziehen.

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