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„Einzigartiges Gewaltniveau“

Ukrainische Staatsanwaltschaft kombiniert: Ermordete Journalisten wegen kritischer Berichterstattung unbeliebt

BERLIN taz ■ Die Staatsanwaltschaft in der ostukrainischen Stadt Slawjansk hat offensichtlich Kombinationstalent. Im Falle des getöteten Journalisten Igor Alexandrow gingen die Ermittler verschiedenen Spuren nach, die aber allesamt mit dessen professioneller Tätigkeit in Zusammenhang stünden, teilte eine Sprecherin mit, behielt jedoch weitere Details vorerst lieber für sich. Dieser Zusammenhang liegt für die Kollegen des 45-Jährigen ohnehin klar auf der Hand. Der Chef des regionalen Fernsehsenders TOR, in der vergangenen Woche mit Baseballschlägern zusammengeschlagen und kurz darauf seinen schweren Kopfverletzungen erlegen, hatte vor allem über Fälle von Korruption und organisierter Kriminalität in der Region berichtet.

Mit seiner Berichterstattung war der Fernsehmann bereits früher kräftig angeeckt. Infolge der Klage eines Abgeordneten, den er als „König des Wodka-Reiches von Donbass“ bezeichnet hatte, war Alexandrow 1998 zu zwei Jahren Haft und fünf Jahren Berufsverbot verurteilt worden. Zwei Jahre später zog der Abgeordnete zwar seine Klage zurück, Alexandrow kämpfte jedoch weiter für seine Rehabilitierung und brachte den Fall zuletzt sogar vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

In einem Protestbrief forderte die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ jetzt den ukrainischen Premierminister Anatoli Kinach auf, beim Innenministerium und der Staatsanwaltschaft persönlich zu intervenieren, um sicherzustellen, dass diese beiden Institutionen entschlossen gegen die Unterdrückung der Presse in der Ukraine vorgingen. „Denn“, so das Schreiben, „die Gewalt gegen Journalisten hat hier ein Niveau erreicht, das in Europa einzigartig ist.“

Die Fakten geben der Organisation leider Recht. Denn ebenfalls am 3. Juli fand ein weiterer Journalist den Tod. Oleg Breus, Herausgeber des Journals XXI wek (21. Jahrhundert), wurde in der Stadt Lugansk vor dem Eingang seines Wohnhauses erschossen. Die Miliz verbreitet die Version, der Mord an Breus, der 33 Prozent der Aktien des städtischen Zentralmarktes hält, habe mit dessen geschäftlichen Aktivitäten zu tun. Der Chefredaktuer von XXI wek, Juri Jourow, sieht das etwas anders. Grund für den kaltblütigen Mord an Breus seien, so Jourow, von der Zeitung veröffentlichte kritische Artikel über die neuen politischen Verantwortlichen in der Stadtverwaltung.

Mit den Verbrechen an Alexandrow und Breus sind in den vergangenen fünf Jahren elf Journalisten in der Ukraine getötet worden. Doch Staatspräsident Leonid Kutschma ficht das nicht an. Erst jüngst schwadronierte er wieder über Pressefreiheit. Die sei in der Ukraine garantiert und geschützt, genauso wie eine unabhängige Berichterstattung der Journalisten.

BARBARA OERTEL

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