: Ein Paradies mit Fallen
In den Tsodilo Hills im äußersten Nordwesten Botswanas liegt das Heiligtum der San: Die Ahnen dieses Buschmannvolkes haben hier fast 4.000 Zeichnungen im Gestein hinterlassen. Bald soll das Areal zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt werden
von JÜRGEN SORGES
Steve Considine mustert uns skeptisch, als wir im Sedia-Hotel aufkreuzen, sieben Kilometer außerhalb von Maun, der nördlichen Metropole Botswanas. „Ihr schafft das niemals!“, ist sein Kommentar, als wir ihm unser Trekkingziel, die Tsodilo Hills, verkünden. Steve, ein US-Amerikaner irischer Herkunft, war Jahrzehnte Reiseleiter in Europa, bevor es ihn hierher nach Botswana verschlug. Mittlerweile hat er seinen Pilotenschein gemacht und wartet nun auf die Erteilung der Arbeitserlaubnis durch die botswanischen Behörden.
Solange Steve noch unfreiwilligen Bodenkontakt halten muss, informiert er die Maun-Besucher und organisiert Kahnpartien am Rande des wahrhaft wilden Okavango-Deltas. Über die Tsodilo Hills, die bisher für kaum einen Botswana-Besucher auf der Reiseroute liegen, weiß er wenig. Ebenso wie Shylock Raborokgwe, unser Guide, wird er den sagenhaften Ort zusammen mit uns zum ersten Mal besuchen.
Steves Warnung hat gute Gründe: Uns erwarten mindestens 40 Grad im Schatten, keine Versorgungsmöglichkeit vor Ort. Also muss neben festem Schuhwerk an Proviant gedacht werden: Drei Liter Wasser, jede Menge Obst und Sandwiches sollen uns über den Tag bringen. Als uns Steve zum Airport fährt, sehen wir vor dem Eingang einen Sandschaufler bei seiner täglichen Sisyphosarbeit: Trocken heiße Winde treiben den Sand der Kalahari in alle Ritzen.
Hügel wie Pyramiden
Eine Stunde Flugzeit steht uns bevor, vorbei an dem Bodennebel des Okavango-Deltas, hinweg über schier unendlich mäandernde Wasserläufe, über satte Wiesen und sandige Eilande, hinweg auch über Herden von Elefanten und Büffeln. Dann taucht der erste, mächtigste Hügel der Tsodilo Hills auf: Wie eine Pyramide erhebt sich der Male Hill 400 Meter aus der endlos flachen Weite der Kalahari.
Der Pilot dreht für uns eine Runde um die Tsodilos: „Male“, „Female“, „Child“ nennen die San die drei Haupthügel in ihrem religiösen Naturheiligtum. Dazu hat es noch eine winzige, namenlose vierte Erhebung. Die San assoziieren mit ihr die erste Gattin des „Male“, die von ihm einer jüngeren Frau wegen, eben der „Female“, verlassen wurde. Nun fristet sie ein einsames Schattendasein. In der Nähe entdecken wir einen Felsklotz mit der bemerkenswerten Bezeichnung „Where Sex originated“. Dass der Ursprung des Sex ausgerechnet hier zu finden sein soll, verblüfft denn doch. Um so mehr, als die archäologischen Funde 20.000 Jahre älter sind als jedwede orientalische Paradiesvorstellung samt Baum der Erkenntnis.
Wir parken die Cessna in Höhe des Male Hill. Rechter Hand zweigt ein schmaler Buschpfad zur dörflichen Zehn-Hütten-Siedlung der Mbukushu ab, eines Stammes, der hier nach seinem Exodus aus dem Norden 1860 endgültig sesshaft wurde. Keine Spur von den San, nur ein Wasserbohrloch, an dem sich zwei Rinder laben, kündet von ihrer möglichen Existenz.
Der Tswana-Name „Tsodilo“, so die Lehrmeinung, stamme vom Mbukushu-Wort „sorile“, steil. Und so präsentiert sich vor allem der „Male“, abweisend, und, wie eine Legende vermeldet, als „Paradies mit Fallen“. Der Tipp der Buschmänner: Will man ihn heil wieder verlassen, muss man ihn von der flacheren Seite her besteigen. Der Versuch von der rechten Steilflanke her ist ein Weg ohne Wiederkehr; angesichts der hohen Temperaturen glauben wir dies gern.
Also konzentrieren wir uns auf den flacheren „Female“. Dort befinden sich die bedeutendsten der Felszeichnungen der San. Nach einem recht leichten Marsch bis hin zum Fuß des Hügels rinnt der Schweiß und eine weitere Überraschung offenbart sich: Wir landen im „Main Camp“, wo ein halbes Dutzend Menschen in brütender Hitze am Projekt „Tsodilo Hills“ arbeitet. Seit Professor Alec Campbell vom National Museum in der Hauptstadt Gaborone 1994 einen Masterplan für die Tsodilo Hills vorgestellt hat, wird eifrig an dessen Umsetzung gearbeitet. Wir finden den Rohbau eines Visitor’s Centre vor und eine gerade fertig gestellte sanitäre Anlage.
Ein Zaun ums Paradies
Am Ende des Main Camps entdecken wir ein kleines Museumsgebäude. Der große Aufwand wird betrieben, weil die Hügel möglichst noch im November 2001 in die Unesco-Weltkulturerbeliste aufgenommen werden sollen. Da gehört ein Dokumentationszentrum eben dazu. Leider nur ist der Schlüssel verlegt. Vielleicht ist das sogar besser, weil wir ja die authentischen Originale bestaunen wollen. Und die befinden sich nur zweihundert Höhenmeter über uns. Man erzählt uns, dass das ganze Areal in naher Zukunft eingezäunt werden, mithin der Zugang zum San-Paradies kontrollierbar werden soll. Und die San? Nach wie vor keine Spur von ihnen.
Bereits nach den ersten Schritten bergauf stellt sich heraus, dass eigentlich jeder der in den letzten Jahren angelegten sechs Trails eine äußerst energiefressende Angelegenheit ist – Teilstrecken sind nur auf allen Vieren zu bewältigen. Dafür ist die Belohnung um so größer, als die ersten Zeichnungen von Rhinos, Antilopen, eine Longhorn-Kuh, Hippos, ein Löwe, Fische und sogar eine ,Walzeichnung‘ auftauchen. Letztere hat manche Interpreten dazu inspiriert, den San Handelskontakte bis an die Atlantikküste zu unterstellen. Andere machen den dicken Fisch kleiner – und haben die Geologen auf ihrer Seite: Rings um die Tsodilos lag einmal ein veritabler See, der Spender für das Fischwunder in der Wüste gewesen sein könnte. Stets befinden sich die Zeichnungen in exponierter Lage, verbergen sich etwa unter schwer erklimmbaren Felsvorsprüngen.
Keine Frage, die Künstler oder Priester, die diese Zeichnungen zumeist zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert nach Christus schufen, benötigten Gerüste, um die von ihnen selbst hergestellten prächtigen Farben mit der flachen Hand und selbst gefertigten Pinseln aufzutragen. Eine Felswand präsentiert Körbe, wie sie die 60.000 noch in Botswana lebenden San bis heute flechten. Dann die Hügelkuppe, der höchste Punkt. Der Blick ringsum zeigt: Die Tsodilos liegen inmitten der Unwirtlichkeit der Kalahari, sind aber dank Quellen, Tümpeln und Zisternen eine grüne Oase, Bäume spenden Schatten. Es finden sich hier sogar Minen, in denen die San einst Metalle abbauten, um diese im gesamten südlichen Afrika zu handeln. Am Schluss unseres Rundgangs tauchen die berühmten „Dancing penisses“, die „tanzenden Penisse“ auf: Gruppen tanzender, sexuell erregter männlicher Figuren.
In den Tsodilos gibt es trotz der Dürreperioden noch viel Wild und bis zu über einen Meter lange Felswarane schleichen umher.
Tabus für grünes Leben
Für die San waren die Tsodilo Hills überlebensnotwendig. Nicht umsonst wurden diese Hügel von ihnen mit zahllosen Tabus belegt: Direkte Besiedlung wie Jagd waren jahrtausendelang untersagt. Für die San war die Hügellandschaft ein dauerhaft grünes, Leben spendendes Refugium im umliegenden Sandmeer.
Und wo sind die San? Wir erfahren es durch unseren Local Guide, der uns zu ihnen führen will. Es wird ein schweißtreibender Marsch durch den siedend heißen Sand der Kalahari. Schließlich erreichen wir die San, vom Stamme der Zhu, ganze 15 Menschen, abseits aller Touristen und Kletterpfade. Als Kompensation für den geforderten Wegzug von ihrem Heiligtum haben sie zwei Bohrlöcher erhalten, die ihnen nun rund um die Uhr Wasser liefern. Durchaus ein Fortschritt, wenn man die waschende San-Frau oder auch die zwei Esel erblickt, die sich am Wasserüberlauf laben.
Der Masterplan sieht vor, das angestammte Dorf der San zu einer Touristenattraktion auszubauen, in dem die San auf freiwilliger Basis arbeiten sollen. In Dauerkontakt mit Besuchern der Tsodilo Hills. Leben sollen sie nach diesem Konzept allerdings weiterhin in der abseits liegenden neuen Siedlung, vom neuen Zaun ausgesperrt von ihrem Heiligtum. Warum eigentlich? Warum keine Integration ins Tourismuskonzept, der zwar kulturelle Brüche, aber auch einigen Fortschritt für die extrem bescheidenen Lebensverhältnisse der San mit sich bringt? Denn ein neues Weltkulturerbe mit Ausschluss der Erben, da sind wir uns beim Abflug alle einig, zöge uns die Trekkingschuhe aus.
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