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press-schlagBolzplatz, Radio, Zeitung: Kirch und Wontorra machen die Vergangenheit modern

Frau Ilsebill und das Ende des Butterfahrtenfußballs

Es ist an der Zeit, an dieser Stelle, an der oft und meistens mit Recht genörgelt wird, frohe Kunde auszurufen. Hier ist sie: Football’s coming home. Zu danken dafür ist dem Herrn Kirch, weil er uns von der Glotze wegekelt mit seiner Fußballpräsentation, deren Zweck es ist, Dinge zu verkaufen, die kein Mensch braucht. Jetzt geht es Kirch wie des Fischers Frau Ilsebill. „Mehr, mehr“, nörgelt die immer weiter, obwohl ihr wackerer Mann dem Butt bereits riesige Schätze aus den Kiemen geleiert hat, bis der Butt die Geduld verliert und den ergaunerten Reichtum der Fischers wieder verschwinden lässt.

Mit „ran“ am Samstagabend hat Ilsebill Kirch die Geduld des Butts, der Fans also, überstrapaziert. Und weil sogar Kirchs Angestellter Hansch von „Zumutung“ spricht, hat es der letzte Kuttenheinz geschnallt: Kirch hat den Fußball zum Butterfahrtenspektakel verkommen lassen. So wie Helgolandfahrten nicht dazu dienen, Helgoland zu sehen, sondern Heizdecken und Rheumapflaster zu verkaufen, so dient Kirchs Free-TV-Fußball dazu, uns Decoder oder Bier anzudrehen. Doch nur noch zwei Milliönchen gucken zu. Und auch die werden bald zur Vernunft kommen, denn Wonti hat am Samstag alles dafür getan, sie vom Bildschirm zu vertreiben. Sie mussten mit ansehen, wie Stoiber Beckenbauer zum Champions-League-Sieg mit einem gerahmten Foto von Stoiber (!) gratulierte und wie die HSV-Bolzer in der Küche ihres Lieblingsitalieners Nudeln umrührten. So was soll die Damen vor die Scheibe locken, um die Quote zu retten. Was ein Dummbatz, der Wonti. Weiß er nicht, dass alle Versuche, Fußball mit Show, Lifestyle, Talk oder Container-Soap zu verbinden, kläglich in die Hose gegangen sind? Umso besser.

So hat er bessere Zeiten für den Fußball eingeleitet. Wir gehen wieder ins Stadion oder zum Bolzplatz der Kreisliga oder hören Radio. Denn Fußball im Radio ist fast so aufregend wie in den 60ern, selbst die Stimmen der Reporter haben sich kaum geändert. Noch schöner an Kirchs Zuschauer-Vertreibungspolitik ist nur noch eins: Man interessiert sich wieder für uns Schreiber. Am Montag schlägt der Fußballfreund wieder ungeduldig die Zeitung auf und liest nach, wie Pauli zum Punkt in Wolfsburg kam, weil er am Samstag auf den albernen Super-hyper-slowmo-megazoom-Zauber mit Nudeleinlage verzichtet hat. Schreibblock, Stift und Sprachgewalt, den archaischen Waffen des einsamen Zeitungsschreibers, vertraut er wieder mehr als der schmierigen Monstertechnologie des Fernsehens. Danke, Kirchhanschwonti. JOACHIM FRISCH

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