piwik no script img

„Neue Nachbarschaften schaffen“

Die große Was-ist-meine-Welt-Frage: Die Schriftsteller Sven Lager und Elke Naters über ihre neue Anthologie „the Buch“, ein soziologisches Verständnis von Popliteratur, das Interesse am Leben um einen herum und das Fremdsein im Literaturbetrieb

Interview DIRK KNIPPHALS

taz: Anthologien haben normalerweise ein Vorwort, das die enthaltenen Geschichten einordnet. Ihre Anthologie hat keins. Eine programmatische Entscheidung?

Sven Lager: Wir haben so viele Vorwörter probiert . . .

Elke Naters: . . . in allen Variationen . . .

Sven Lager: . . . Antivorwörter . . .

Elke Naters: . . . Nachwörter. Alles wieder verworfen. Wir wollten keine Gebrauchsanleitung. Im Pool gab es außerdem auch nie ein Vorwort.

Sven Lager: Ich lese nie Vorwörter, sondern der Text entscheidet.

Elke Naters: Der Verlag hat natürlich auch nach einem Vorwort gefragt. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen und wir hatten auch einfach noch nicht den nötigen Abstand zu Pool und „the Buch“.

Sven Lager: Ich wollte auch eins. Aber wir hatten einen Punkt erreicht, an dem wir uns fragten: Hat das jetzt noch viel mir dem Pool zu tun, oder können die Geschichten so bestehen?

Das Buch ist nicht einfach nur der Abschluss des Internet-Projektes „Am Pool“?

Elke Naters: Wir haben mit den Leuten, mit denen der Pool sich entwickelt hat, gemeinsam für ein Buch geschrieben. Im Internet, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Alle Autoren konnten sehen, was die anderen Autoren schreiben, und sie konnten ihre Texte selbst verändern. Das Buch ist sozusagen in einer großen Schreibstube zusammen entstanden.

Sven Lager: Der Pool war: Reinschreiben, und dann steht es da. Chronologisch nacheinander wie ein öffentliches Tagebuch. Beim Buch aber konnten alle Autoren ihre Texte fast ein Jahr lang verändern. Die Idee war eher die Utopie, ein Gemeinschaftsbuch zu machen, in dem alle aufeinander eingehen.

Elke Naters: Das Internet nicht für die Öffentlichkeit nutzen, sondern für die Zusammenarbeit – was ein anderer Ansatz war.

Sven Lager: Wir wollten das vermeiden, was sonst in Anthologien geschieht. Normalerweise gibt es Herausgeber, die laden Autoren ein, und die wiederum finden ihre Geschichten neben den von anderen Autoren wieder, die sie vorher nicht kannten. Bei uns wusste immer jeder, was der andere schreibt.

Elke Naters: Mehr oder weniger.

Ist das jetzt der endgültige Abschied vom Internet? Machen Sie nur noch Bücher?

Elke Naters: Da sind wir geteilter Meinung. Mich interessiert das Internet nicht mehr. Ausgeschöpft. Keine Lust mehr. Nur noch Bücher. Sven möchte das aber weiter machen.

Sven Lager: Für Pool eignete es sich ideal. Es entstand dabei ein Stil, von dem man sich fragte: Funktioniert das auch im Buch oder nicht? Und wir haben uns gesagt: Probieren wir es einfach mal. Prinzipiell würden wir natürlich am liebsten ganz viele Bücher und Internetprojekte machen.

Elke Naters: Du würdest.

Sven Lager: Elke mag das Internet nicht besonders.

Warum nicht?

Elke Naters: Mir hat irgendwann die Öffentlichkeit nicht mehr behagt. Es gibt öffentliche Phasen und dann auch wieder stille Phasen. Man kann nicht immer seine Produktion sofort in die Öffentlichkeit stellen. Ich wollte mal wieder verschwinden, in Ruhe schreiben, Texte liegen lassen.

Sven Lager: Für manche Pool-Beteiligte war es auch schwierig, in einer Öffentlichkeit zu schreiben, die sie nicht einschätzen konnten.

Elke Naters: Man war dann ein Pool-Schreiber. Die aktuelle literarische Produktion rückte in der allgemeinen Wahrnehmung nach hinten. Eigentlich war das Pool-Projekt nur ein kleiner Teil der Arbeit, aber es bekam auf einmal ein großes Gewicht und eine Aufmerksamkeit, die der Textproduktion überhaupt nicht angemessen war.

Ist es im deutschen Literaturbetrieb immer noch provokant, das Internet gut zu finden?

Sven Lager: Darüber lachen wir ja immer.

Elke Naters: Wenn so etwas schon Provokation sein soll!

Sven Lager: Im Literaturbetrieb ist so vieles eigenartig, dass man sich gar nicht mehr darauf einstellen kann, was für Reaktionen alles möglich sind.

Wie erklären Sie sich diese Reaktionen im Nachhinein?

Sven Lager: Sie hatten natürlich etwas mit dem Internet zu tun. Das war neu. Zudem hat es gleichzeitig den Boom der neuen deutschen Literatur gegeben. Vielleicht haben wir im Vergleich zu den anderen Internetprojekten auch eine freiere Form gefunden. Eine Form, in der nicht theoretisiert wird . . .

Elke Naters: . . . und in der nicht redigiert wird.

Sven Lager: Wichtig war, dass man nicht über etwas redet, sondern dass man wirklich schreibt. Im Gegensatz zum „Forum der 13“ im Internet, wo man gerne über Dinge redet. Da ist man der eigene Analyst. Kann auch interessant sein, kann aber auch in die eigene Sekundärliteratur führen. Thomas Hettches „Null“-Projekt war einfach ein bisschen staubiger, auch wenn ich es gerne gelesen habe.

Elke Naters: Das Internet war da noch nicht ganz begriffen.

Wieso?

Elke Naters: Weil es als Buch geplant und dann im Internet geschrieben war, als wäre es von Anfang an ein Internetprojekt.

In „the Buch“ schreiben sehr unterschiedliche Autoren. Politische Reportagen etwa von dem Journalisten Andrian Kreye stehen neben sehr privat wirkenden Aufzeichnungen aus dem heutigen Großstadtleben. Was verbindet die Texte?

Elke Naters: Sie stammen von Autoren, die ein Interesse am Leben um sie herum haben, die das beschreiben und zu ihrem Thema machen. Komplett fiktionale Texte kommen bei uns nicht vor. Es geht eher um Alltagsbeschreibungen.

Eine Mischform aus Reportage, Literatur und etwas, was man Skizze nennen könnte?

Sven Lager: Ich würde das aber wirklich nie aus der Literatur ausgrenzen. Solche Mischformen hat es in der Literaturgeschichte immer gegeben. Natürlich ist unser Interesse immer schon auf Literatur gerichtet gewesen, also auf Sprache.

Elke Naters: Das Literarische daran ist, dass man für diese doch sehr beschränkte Form des Internet eine sprachliche Form finden musste, um dafür zu schreiben.

Und wie ist diese Form? Muss es plakativer sein?

Elke Naters: Ja, klar. Und kurz.

Sven Lager: Sie kann auch plakativ-poetisch sein.

Elke Naters: Und sie muss immer eine Verbindung zur Person herstellen. Viele Leser sagten, dass es sie nicht mehr interessiert hat, als da keine Namen mehr unter den Texten standen.

Gefragt waren Postkarten aus einem anderen Leben?

Elke Naters: Wie groß der Wahrheitsgehalt auch tatsächlich war, die Autoren haben die Ich-Form benutzt und in die Texte hineingeschrieben, was mit ihrer Person in Verbindung gebracht wurde. Das bildete natürlich einen Anreiz zur Lektüre. Auch das ist eine typische Internetgeschichte: gucken, Voyeurismus, was machen die da gerade?

Kürzlich meldete die Nachrichtenagentur dpa, der Trend zur Popliteratur mit seiner „flockig-lockeren Nabelschau“ sei vorbei.

Sven Lager: Na, toll. Klasse.

Elke Naters: Was ist denn die Nabelschau eigentlich?

Sven Lager: Ich fand an der Popliteratur immer sehr interessant, dass man sich wieder auf das beschränkt, was man weiß. Dass man über das schreibt, was man selbst erfahren hat, nicht darüber, was sein könnte oder was mit den anderen ist. Sondern dass man plötzlich wieder einen Schritt zurück machte und fragte: So, was ist meine Welt? Insofern halte ich den Begriff der Nabelschau für verkehrt. Wie auch den der Oberflächlichkeit, den man dem Pool-Projekt auch gegeben hat, nur um ein Gegenbild zu schaffen, nämlich das von Tiefe.

Viele Beobachter glauben, dass es nun wieder ein Zurück zu politischeren Ansätzen geben wird.

Sven Lager: Darüber können wir jetzt lange reden. Was ist eigentlich politisch? Ist es in unserem Buch Andrian Kreye, der sehr konkret eine politische Situation beschreibt, oder ist es politisch, wenn Sabine Weber darüber schreibt, mit wem sie schlafen will? Auch da finden doch Gegenwartsbeschreibungen statt. Und sie müssen natürlich nebeneinander stehen, weil die Situationen wirklich nebeneinander passieren. Es ist ein reales Nebeneinander.

Elke Naters: Popliteratur ist für mich soziologisch. Es wird viel über Kontakte, Beziehungen, Zusammenleben geschrieben. Und was sollte daran nicht politisch sein? Im Literaturbetrieb aber trifft man immer noch E- und U-Unterscheidungen. Das ist komisch.

Das hört sich an, als wären Sie nicht im Literaturbetrieb drin.

Elke Naters: Wir sind doch keine Literaturwissenschaftler oder Feuilletonisten. Unser Denken kommt überhaupt nicht aus dieser Richtung, unsere Wurzeln liegen ja eher in der Kunst als in der Literatur. Meine Vorstellung von Pop bezieht sich auf Andy Warhol.

Unter dem Begriff der Popliteratur werden ganz unterschiedliche Ansätze zusammengefasst, von Else Buschheuer bis Rainald Goetz. Haben Sie vielleicht einen besseren Begriff?

Sven Lager: Wieso denn? Der Begriff hat doch alles sehr schön hochgepuscht.

Elke Naters: Ich würde schlicht von Gegenwartsliteratur reden.

Dann wäre auch Günter Grass mit im Boot.

Elke Naters: Sagen wir, junge Gegenwartsliteratur.

Sven Lager: Ich würde nie genaue Grenzen ziehen. Ein ganz bestimmter Hype um die Popliteratur ist jetzt natürlich vorbei. Im Ganzen aber war die Bewegung doch sehr interessant. Es gab sehr viele neue Autoren. Nun wird sich klären, wer weiter schreibt. Wem es wirklich am Herzen liegt, zu schreiben.

Der Popliteratur wird gerne Beliebigkeit und Affirmation dessen, was ist, vorgeworfen.

Elke Naters: In der Art und Weise, wie man das affirmiert, kann auch schon Kritik liegen.

Sven Lager: Dieser ganze Spaßgesellschaftstheoriekram ist doch eigentlich blödsinnig. Ich glaube ja eher: Es gibt manchmal eine Angst vor den Popliteraten, als gehe von ihnen eine Gefahr aus.

Elke Naters: Dabei kann doch ganz viel nebeneinander existieren. Ich verstehe diese Panik immer nicht, es ist genug Platz für alle da. Je mehr Ansätze es gibt, desto besser.

Wenn man Ihre Projekte zu Ende denkt, zielen sie nicht darauf, eine ganz eigene Gruppe oder Generation zu etablieren?

Sven Lager: Nö.

Elke Naters: Nö.

Keine neue Schule?

Elke Naters: Natürlich unterstützen wir eine bestimmte Richtung von Literatur, die wir lesen wollen. Mag sein, dass der Wille mitschwingt, etwas neben dem Literaturbetrieb zu machen.

Sven Lager: Neue Nachbarschaften schaffen.

Elke Naters: Genau, nicht nur diese Betriebsgeschichten, Förderungen und Stipendien mitmachen. Die bilden sowieso einen hermetischen Block, in dem wir absolut fremd sind. Der Literaturwelt, in der man sich nicht sehr zu Hause fühlt, etwas gegenüberstellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen