kabolzschüsse: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart
Hornussen
Die Schweiz ist überall. In Berlin lauert sie als monolithischer Block, hinter dessen tresorartiger Betonmauer allerhand geheim gehalten wird. Die Botschaft dient als eidgenössischer Vorposten. Abgeschottet widersteht der Schweizer darin der fortschreitenden Instabilität, flieht in die Innerlichkeit, eskortiert von einem strammen Traditionsbewusstsein. Verständlich, dass sein Wesen auch von Argwohn bestimmt ist und der Fremde keineswegs in offene Arme rennt. Nicht wenn es ums Hornussen geht.
Hornussen winkt den Trendsportarten vom anderen Ufer zu. Während hier die Vorzüge einer neu erfundenen Sportart, Beach-Banging zum Beispiel, im Expresstempo in die Welt getragen werden, tut sich da überhaupt nichts. Kein Trendmensch späht. Kein Sportartikler, der in Import-Export macht. Nicht mal der Exotenfreund, der verschrobene Randsportarten liebt, zeigt sich.
Ja, selbst die Schweizer Botschaft bleibt dem Kodex eidgenössischer Bänker treu: Sie verrät nichts. Ihr sei der Sport unbekannt, so eine Mitarbeiterin. Hornussen? „Nie gehört.“ In Berlin? „Demnächst vielleicht.“ Nach dem Telefonat hat sie sicherlich feixend im Hornussen-Fachblatt geblättert und gestaunt, dass der Fredu Binggeli aus Zuchwil den Nouss 400 Meter weit geschlagen hat, weswegen die gegnerischen Abtuer nichts zum Abtun hatten. Sie war immerhin als Abtuerin telefonisch erfolgreich.
Der Reihe nach. Hornussen ist im Emmental zu Hause. Dort und im restlichen Kanton Bern stemmen sich die meisten Hornusser gegen „modärns Zügs“. Gespielt wird auf dem Ries, einem 280 Meter langen Feld. Der Nouss ist der Hornuss, ein 80 Gramm schweres Flugobjekt, das Geschwindigkeiten von 200 km/h erreicht. Er wird auf dem Bock, einer Abschlageinrichtung, beschleunigt und sollte vom Gegner mit den Schindeln (Auffangbrett) gefangen werden, damit es keinen Strafpunkt (Nummero) gibt. Zwei Mannschaften zu je 18 Spielern stehen sich gegenüber. Am Ende hat die gewonnen, die weniger Nummeros kassierte.
Erstmals wird Hornussen 1625 erwähnt. Schweizer Bauern des Dorfes Lauperswil würden den Gottesdienst schwänzen, um auf den Feldern des Emmental abzutun, wurde berichtet. Man einigte sich. Die Käser, Melker und Viehhirten hornussten fortan am Sonntagnachmittag. Das goutierte die Kirche. Pfarrer Albert Bitzius, lobte sogar „Kraft, Geschicklichkeit, Aug’ und Fuß“ der Hornusser in seiner Dorfgeschichte „Ueli, der Knecht“.
Um gut zu hornussen, müssen vierschrötige Gesellen her. Zwei Zentner Körpergewicht sind von Nutzen. Frauen haben das Nachsehen. „Wenn sich die Damen versuchen, ist doch viel Murks und Krampf dabei“, sagt Andres Wegmüller vom Schweizer Hornusserverband. „Die sind aber meist unsere Schiedsrichter.“ „Mängisch“, sagt der männliche Eidgenosse mitunter, „nützt scho en dumme Spruch.“ Und, keine Frage, im Zuchwiler Hornusser-Hüttli rennt der Schmäh, der bei der Feststellung ankommt: „Den Nouss abfangen, das ist wie sein Land verteidigen.“
Der Sport hat es in den letzten Jahren bis nach Deutschland geschafft. Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann auf dem Maifeld beim Olympiastadion die Schindel geschwungen wird. Zwei Vereine wurden immerhin schon gegründet. Seit 1991 sind im bayerischen Münnerstadt Hornusser am Bock zugange. Ebenso in Großrinderfeld (Baden-Württemberg). Wenn sie zu den „Eidgenössischen“ eingeladen werden, starten sie freilich nur in der vierten und schlechtesten Klasse.
Die Münnerstädter hatten übrigens mehr Glück mit der Schweizer Botschaft. In Bonn rannten sie offene Türen ein. Dort kam es sogar zu einem Demonstrationswettkampf. Doch Bonn war beschaulich. Im verstörend großen Berlin werden die Geheimnisse Schweizer Lebensart gehütet wie das Bankgeheimnis. MARKUS VÖLKER
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