: Von den Wärtern geschlagen
In der Untersuchungshaft wurden Globalisierungskritiker in Italien misshandelt. Die Schläge hatten erst nach dem Besuch eines Konsulatsvertreters ein Ende
BERLIN taz ■ Globalisierungskritiker, die nach den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Genua festgenommen und in Italien inhaftiert wurden, sind offenbar auch während ihrer Untersuchungshaft misshandelt worden. Der 27-jährige Christian M. aus Oberhausen berichtete gegenüber der taz, er sei im Männergefängnis von Marassi von Wärtern „systematisch geschlagen“ worden.
Christian M. war am 23. Juli nach dem G-8 -Gipfel zusammen mit rund 20 anderen Deutschen in der Nähe eines genehmigten Camps der Globalierungskritiker auf offener Straße festgenommen worden. „Bei der Festnahme wurden unsere Rucksäcke ausgeleert und alle Sachen auf einen großen Haufen geschmissen“, so der Student. Anschließend hätten die Polizeibeamten den Festgenommenen willkürlich Gegenstände zugeordnet. Christian M. hatte Pech: Ein Videofilm mit Bildern von der Stadt nach den Ausschreitungen, den Hamburger Dokumentarfilmer gedreht hatten, wurde ihm zugeordnet.
Er reichte als Haftgrund. „Zunächst wurden wir in der Hauptpolizeiwache von Genua in einen gekachelten Raum mit zugeklebten Fenstern gebracht, wo wir stundenlang mit erhobenen Händen und dem Gesicht zur Wand stehen mussten.“ Die Behandlung in der Polizeiwache bezeichnete der 27-jährige Oberhausener als „die übliche Schikane“, der viele Inhaftierte ausgesetzt gewesen seien. „Richtig schlimm wurde es, als ich nachts nach Marassi gebracht wurde.“ Bei der Ankunft im Männergefängnis „musste ich mich nackt ausziehen und dann haben sieben bis acht Wächter mich mit ihren Fäusten bearbeitet“, berichtet Christian M.
Das Gefühl jener Nacht begleitet ihn noch immer: „Ich hatte Angst um mein Leben.“ Auch in den folgenden drei Tagen gingen die Misshandlungen „wohl dosiert über die Tage und die Nächte verteilt“ weiter. „Manchmal kamen die Schließer zum Schlagen in die Zelle, manchmal gab es die Schläge auf dem Gang.“ Für den Studenten war schnell klar, dass es „dabei um systematischen Terror ging“. Er selbst sei so „hochgradig eingeschüchtert“ gewesen, dass er aus Angst vor Repressalien beim Besuch eines Vertreters des deutschen Generalkonsulats vier Tage nach seiner Überstellung ins Gefängnis die Misshandlungen nicht erwähnte. Zudem habe ihm der Konsulatsvertreter zu Beginn des Gespräches erklärt, dass er nur eine Vermittlerfunktion hätte. „Damit gab es auch keine wirkliche Vertrauensbasis, um über meine Situation zu reden.“ Nach dem Besuch des deutschen Beamten hätten die körperlichen Misshandlungen aufgehört. Doch Telefonate wurden den zehn jungen Männern aus Deutschland, die gemeinsam in einer 25 Quadratmeter großen Gemeinschaftszelle eingesperrt waren, ebenso verweigert wie ein regelmäßiger Hofgang.
Einen Anwalt erhielt Christian M. erst nach eineinhalb Wochen Untersuchungshaft. Bis dahin waren ihm mehrfach Formulare auf Italienisch vorgelegt worden, die er „unter Androhung von Schlägen“ unterschrieb. Erst beim ersten Haftprüfungstermin erhielt Christian M. einen Übersetzer. „Der war so dilettantisch, dass ich bis heute nicht weiß, was mir vorgeworfen wurde.“ Vergangenen Freitag wurde Christian M. nach knapp dreiwöchiger Untersuchungshaft entlassen und nach Deutschland abgeschoben. Jetzt rätselt er darüber, „warum ich freigekommen bin und die anderen nicht“.
Christian M.s Hauptsorge gilt seinen ehemaligen Mitgefangenen. Deren psychische Situation sei „durch die in Folge der physischen und psychischen Misshandlungen ausgelösten Traumatisierungen beeinträchtigt“, berichtete die PDS-Bundestagsabgeordnete Heidi Lippmann nach einem Besuch in Marassi Ende letzter Woche. Sie fordert nun eine psychologische Betreuung durch Organisationen für Folteropfer. HEIKE KLEFFNER
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