jens könig über Schröder: Der kleine König
Der Kanzler sollte sich Bill Clinton zum Vorbild nehmen. Der wird von Tag zu Tag immer mehr er selbst
Das Wesen des modernen Journalismus besteht darin, antizyklisch zu sein. In diesen Tagen erfahren wir wieder einmal alles über Gerhard Schröder und den Osten, über das Verhältnis des Kanzlers zu Zeitz, Sebnitz und Halle-Neustadt. Also schreiben wir über Schröder und den Westen – den echten, ursprünglichen, wilden Westen.
Es geht um Schröder und New York. Zugegeben: wir hätten garantiert mehr Leser, wenn es sich um Schröder und John Wayne drehen würde. Um den starken Mann, den amerikanischen Mythos, das Recht auf eine Waffe, die Bibel. Da könnten sich bestimmt auch ganz lässig Verweise auf den Kosovokrieg unterbringen lassen, das kommt bei unseren LeserInnen immer gut. Aber um die geht’s hier nicht. Außerdem würde ein Text über Schröders Beziehung zu John Wayne schmählich ignorieren, dass ich zum Schreiben extra nach New York geflogen bin, auf Kosten der taz natürlich. (So viel nur zur wirtschaftlichen Gesamtsituation unseres kleinen, tapferen Unternehmens.)
Schröder war bisher fünfmal in New York. Obwohl ihm die Stadt eigentlich eher unangenehm ist (jeder, der schon mal in Hannover war, wird das verstehen), hat er seine Besuche fast alle noch sehr gut in Erinnerung. Beim ersten Mal, 1981, war er im Rahmen eines PR-Programms für Young Political Leaders hier. Bei einem Empfang, auf dem Schröder keinen kannte (und keiner ihn kannte), wurde er Ted Kennedy vorgestellt. Der Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Amerika tat dies etwas überschwenglich mit den Worten, bei dem Bundestagsabgeordneten aus Hannover handele es sich um einen künftigen sozialdemokratischen Kanzler. Sogar Schröder selbst fand diese Prognose damals gewagt.
Bei seinem vierten New-York-Besuch, im Jahre 2000, war Schröder Teilnehmer des Millenniums-Gipfels der Vereinten Nationen, der größten politischen Mammutveranstaltung aller Zeiten – und wurde nebenbei von irgendwelchen reichen Säcken in Manhattan als Weltstaatsmann des Jahres ausgezeichnet.
Seinen letzten Besuch in New York hat Schröder sogar in sehr unangenehmer Erinnerung. Er liegt erst ein paar Tage zurück. Um genau zu sein, war der Kanzler persönlich gar nicht anwesend. Er reiste in Form von ein paar Zeitungsausschnitten mit mir nach New York. Als wir auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen landeten, stellte ich leicht entsetzt fest, dass meine Reisetasche aufgebrochen worden war. Was fehlte, war – Schröder.
Meine Mappe mit allen wichtigen (wichtigen?) Texten über den Kanzler war weg. Ich gestehe, ich fühlte mich etwas heimatlos, und wartete geschlagene zwei Stunden am Gepäckband auf meinen Kanzler.
Auf einmal kam Schröder angefahren. Er war fein säuberlich in seine Einzelteile zerlegt. Artikel für Artikel lag er da zwischen Koffern und fuhr unter den Augen hunderter Passagiere aus aller Welt im New Yorker Flughafen umher. Ich war von diesem Anblick so fasziniert, dass ich Schröder auf dem Gepäckband die ganze Schleife dreimal hintereinander machen ließ. Mit jeder Runde mehr, die der Kanzler drehte, wuchs jedoch mein Mitleid mit ihm. Die Passagiere griffen ihre Koffer, ihre Taschen, ihre Pakete – aber keiner griff nach Schröder. Nicht mal ein Blick. Gar nichts.
Plötzlich wurde mir klar, dass die Sache mit Schröder nichts mit New York zu tun hat. Auch in Berlin-Tegel hätten sie den Kanzler wahrscheinlich nicht bemerkt. Schröder geht es ein bisschen wie dem kleinen König in der Geschichte von Axel Hacke. Das Leben des kleinen Königs verläuft rückwärts. Erst ist er groß und stark, aber mit zunehmendem Alter wird er kleiner und schwächer. Schröders Kanzlerschaft verläuft so ähnlich. Je länger Schröder regiert, je mehr Kompromisse er macht, desto unsichtbarer wird er. Wahrscheinlich bleibt von ihm am Ende nur noch seine ruhige Hand übrig.
Man stelle sich vor, Schröders Freund Bill Clinton hätte auf dem Gepäckband im Flughafen gelegen. Freundlich begrüßt hätten sie ihn, ihm die Hand gegeben, vielleicht sogar zugejubelt. Auch das hätte nichts mit New York zu tun. Clinton besitzt das Talent, mit jedem Tag mehr Clinton zu werden. Selbst nach seinem Rücktritt als Präsident ist da keine Spur von Unsichtbarkeit, im Gegenteil.
Seit vier Wochen residiert das Comeback Kid Bill Clinton im vierzehnten Stock eines schmucklosen Bürogebäudes in Harlem, und schon flippt der stets vernachlässigte Stadtteil Manhattans aus. Clinton hat versprochen, ein guter Nachbar zu sein und sich außerdem um mehr privates Kapital für Harlem zu kümmern. Die lokalen Größen von Harlem hoffen auf einen Aufschwung ihres Stadtteils, in dem hauptsächlich Schwarze und Latinos wohnen. Die Hausbesitzer kündigen bereits Mieterhöhungen an. Eine Harlem Foundation organisiert jetzt schon Führungen durch „Bill Clinton’s Harlem“, 15 Dollar pro Teilnehmer. Und der Fitnessklub schräg gegenüber von Clintons Büro in der 125. Straße begrüßt den Expräsidenten mit einem großen Plakat über dem Eingangstor: „Welcome to Harlem Mr. Clinton“ steht darauf. „Come on in & receive your annual membership“.
Den kleinen König Gerhard Schröder erkennen sie in dem Fitnessklub nicht einmal, wenn er dort Kickboxing macht.
Fragen zu Schröder?kolumne@taz.de
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