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Aquarelle aus der Internierungshaft

Vor 50 Jahren starb Wolfgang Schulze, kurz Wols: Der Surrealist hat viele deutsche „Informel“-Künstler beeinflusst. Doch sein Werk ist bis heute nicht gänzlich katalogisiert – und wird jetzt mit aktuellen Ausstellungen dokumentiert

Das Interesse an seinen Arbeiten ist groß: Gleich mehrere Museen haben sich im 50. Jahr seines Todes mit dem künstlerischen Schaffen von Wols auseinander gesetzt: In der Kunsthalle Bremen wurde eine erstklassige Sammlung von Zeichnungen und Aquarellen gezeigt, die Kunsthalle Hamburg stellte sein grafisches Werk aus. Die aufsehenerregendste Ausstellung fand jedoch im Kunsthaus Hamburg statt, unter der Leitung von Claus Mewes: „Wols – Aquarelle, Zeichnungen, Notizblätter aus dem Besitz von Marc Johannès“. Eine Vielzahl der dort ausgestellten Werke war noch niemals in Deutschland zu sehen. Sie stammen alle aus dem Nachlass des Künstlers. Nun ist die Schau in Dresden, der Heimatstadt des Künstlers, angelangt.

Wolfgang Schulze wurde 1913 in Berlin geboren, 1919 zog seine Familie nach Dresden. Schon in seiner Jugend nahm er dort an den wöchentlichen Treffen der Gruppe „Die Hirsche“ teil, zu der auch Otto Dix, Will Grohmann und Walter Hasenclever gehörten. In diesem Kreis lernte der junge Wolfgang Schulze die zwei Pole kennen, zwischen denen sich sein späteres künstlerisches Werk bewegen sollte: zum einen den scharfen, unverklärten Blick auf die Wirklichkeit von Dix; und zum anderen die malerische Sensibilität von Klee.

Künstler wurde Schulze jedoch nicht in Deutschland, wo er mit Unbehagen erlebte, wie der Faschismus Anfang der 30er-Jahre immer stärker wurde, sondern ab 1932 in Paris. Seine ersten Erfolge erzielte Wols als Fotograf, die frühen Aquarelle und Zeichnungen, die stark von der surrealistischen Kunst beeinflusst waren, fanden damals allerdings noch keine Beachtung.

Nachdem sein Jahrgang in Deutschland für den Reichsarbeitsdienst aufgerufen wurde und er sich dieser Aufforderung widersetzte, galt er einerseits als Fahnenflüchtiger, andererseits als Staatenloser und musste sich fortan bis zu seinem Tod regelmäßig bei der französischen Polizei melden. Seinen Künstlernamen verdankte er einem 1937 erhaltenen Telegramm, auf dem sein Name aus Versehen auf „Wols“ reduziert wurde. Bei Kriegsausbruch wurde er, wie nahezu alle Deutschen in Frankreich, verhaftet und 14 Monate in verschiedenen Lagern interniert. Im Camp „Les Milles“ traf er auf Lion Feuchtwanger, Max Ernst und Hans Bellmer.

Während seiner Inhaftierung hat Wols unablässig gezeichnet und aquarelliert, während ihn seine nach Südfrankreich nachgereiste Lebensgefährtin Gréty mit Malutensilien versorgte. Nach der Entlassung im Oktober 1940 wohnte er mit Gréty zuerst in Cassis, von wo aus er vergeblich versuchte, mit Hilfe von Varian Fry nach Amerika zu gelangen. Als die deutschen Truppen schließlich auch Südfrankreich besetzt hatten, flohen Wols und Gréty in die Hügellandschaft des Drome, nach Dieulefit. In sehr ärmlichen Verhältnissen entstanden hier die Meisterwerke seiner Aquarellkunst. Der ebenfalls nach Dieulefit geflohene Dichter Henri Pierre Roché, bekannt durch die von Truffaut verfilmte Erzählung „Jules und Jim“, wurde ein wichtiger Freund, Förderer und Sammler der kleinen Blätter.

Anders als die Künstlerlegende es will, fand Wols schon zu Lebzeiten Anerkennung bei den Großen der Pariser Kultur, bei Sartre oder Giacometti, und konnte sogar immer wieder Werke verkaufen. Nach Kriegsende kehrte Wols nach Paris zurück und begann, neben den Arbeiten auf Papier auch in Öl zu malen und einige Bücher mit Kaltnadelradierungen zu illustrieren. Trotz dieses relativen Erfolgs musste er jedoch regelmäßig seine Unterkünfte wechseln, da er seine Miete nicht zahlen konnte, und Sartre musste einige Male mit Geld aushelfen. Schließlich starb Wols heute vor fünfzig Jahren im Alter von 38 Jahren auf Grund seiner durch die Internierung bedingten schwachen Gesundheit. Die Urne mit seinen sterblichen Überresten wurde im Columbarium des Friedhofs „Père Lachaise“ beigesetzt. Anders als bei Jim Morrison, Edith Piaf, Marcel Proust oder Oscar Wilde ist sein Grab nicht zur Pilgerstätte geworden – auch weil die Bedeutung von Wols noch nicht umfassend erforscht worden ist. Dabei haben viele deutsche Künstler des „Informel“ oftmals Wols als wichtigen Einfluss auf ihre Kunst herausgestellt. Zugleich wird in der neueren Literatur immer deutlicher, dass der Maler nicht nur der surrealistischen oder informellen Kunst zuzuordnen ist.

Die Dresdner Ausstellung zeigt, wie sehr die Arbeiten auf Papier von Wols während seiner Internierung nicht nur surrealistische Phantasien, sondern auch ganz konkrete Lagersituationen, Natur- oder Stadtansichten zum Thema haben. Jegliche Wissenschaft, die sich mit Wols beschäftigt, ist aber auch mit dem Problem konfrontiert, dass bis heute kein Werkverzeichnis seiner Ölgemälde, Aquarelle oder Zeichnungen publiziert worden ist. Dieser Umstand wiegt schwer bei den über 1.000 Arbeiten auf Papier, da eine große Anzahl von Aquarellen im Umlauf ist, deren Authentizität nicht hinreichend geklärt ist. Erst wenn Überblick über den Umfang seines Oeuvres gegeben ist, kann damit begonnen werden, die neuen Ansätze der Forschung zur Kunst von Wols zu prüfen. Die diesjährigen Ausstellungen lassen vermuten, dass der Umfang und damit auch die Bedeutung des Werks von Wols erst in den kommenden Jahren zu erfassen sein wird.

PHILIPP GUTBROD

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