piwik no script img

Bei Schröders unterm Sofa

Am Wochenende öffnete das Bundeskanzleramt Türen und Tore für das Volk. Zehntausende kamen. Gastgeber Schröder hatte aufgeräumt, machte sich aber rar. Und in seine Privaträume ließ er keinen

Vor allem hält sich das hartnäckige Gerücht, man könne dem Kanzler auch von draußen auf der Toilette zusehen

von PETRA WELZEL

Berlin ist auf den Beinen, um sich nach Bulette, Bratwurst und einem Besuch im Bundeskanzleramt die Beine in den Bauch zu stehen – und wer ist nicht zu Hause? Der Schröder. Jedenfalls mussten das die meisten der 20.000 Besucher am Samstag annehmen, die den Kanzler nicht zu Gesicht bekamen. Nur kurz ließ er sich samt Ehefrau Doris im Kanzlergarten blicken, um dann mit einem Blumenpott aus Erfurt im achten Stock in seiner Wohnung hinter Gardinen zu verschwinden. Und dort durfte niemand vorbeischauen.

Dabei haben die Berliner alles unternommen, es dem Kanzler an diesem Tag recht zu machen. Haben ihm einen riesigen Biergarten mitten ins Bürgerforum vor sein Büro gepflanzt, in dem sie sich mit Gästen niederließen, Bier tranken und viel redeten. Genau so, wie es sich der Bundeskanzler immer gewünscht hat. Keine Bannmeile, wo doch sein Haus, das er sich nicht ausgesucht hat, schon wie eine Festung daherkommt. Stattdessen Brotzeit mit Currywurst oder Leberwurststullen. Und er mittenmang, wenn er Zeit hat. Aber Schröder hat auch am Tag der offenen Tür kaum Zeit.

„Der wohnt doch mit seiner Gattin in Hannover“, fällt einer jungen Frau in der Reihe ein, die sich am Nachmittag sanft und langsam durchs Kanzleramt schlängelt und den Kanzler nicht zu Gesicht bekommt. „Nein!“, widerspricht der Lebensabschnittsbegleiter: „Hier ist jetzt sein Hauptwohnsitz.“ Immerhin, etliches Personal ist daheim, in ständigem Funkkontakt miteinander bei den langen Wegen im Haus. Und die Schröders haben aufgeräumt und für die vielen Besucher an diesem Wochenende rote Läufer mit Gummierung ausgelegt. Fast wie bei Staatsbesuchen. Allerdings wird da Velours ausgerollt, der dann nicht wie jetzt gerade die roten Abtreter Falten schlägt. Aber wer stolpert, wird vom Gedränge aufgefangen. Im Gänsemarsch zwängt man sich die Foyertreppe nach mehrstündigem Warten vor der Tür hinauf, um zwischen schwarzrotgoldenen Kordeln weiter durchs Hochparterre zu schleichen. Wie bei einer Besichtigung von Versailles, dem Haus des Sonnenkönigs beim französischen Nachbarn. Bitte nichts anfassen.

„Wuchtig, viel zu wuchtig“, erschlägt es eine Frau in dem würfelförmigen Klotz. Der Freund behauptet: „Auch dieser neue Kram ist hier eben wilhelminisch und nicht preußisch.“ Überlebensgroße Skulpturen stehen auf hohen Sockeln und wandfüllende postmoderne expressionistische Bilder hängen hinter Kordeln in den Farben der deutschen Fahne. Irgendwie weder wilhelminisch noch preußisch. Das wäre, als würde man in Versailles die verbotenen Zonen mit einer gedrehten Trikolore absperren. Aber dort würde das vermutlich gar nicht auffallen, weil es mehr als nur ein paar einsame schwarze Ledersessel, weiße Säulen, mintgrüne Zwischendecken und eine rostbraune Wand zu sehen gibt. Eine blonde Mittvierzigerin ist von Letzterer dennoch schwer begeistert: „Wunderbar, dieser erdige Ton! Traumhaft, wie sich die Treppenstufen von der Wand abheben!“

Dorthin, wo es etwas wohnlicher wird, in den siebten Stock, gelangen an diesem und dem folgenden Tag nur jeweils 2.500 Besucher per Los. In den achten Stock, wo sich die Schröders vielleicht gerade auf dem Sofa lümmeln, dürfen auch sie nicht. Sie dürfen einen Blick auf Gerhards Schreibtisch werfen, auf das Foto von Doris im Bücherregal neben dem Brockhaus, auf Thomas Manns „Zauberberg“ und rostige Adam-und-Eva-Figuren. Neben Schröders Tisch steht eine kleine Bronzestatuette. Die Führerin der Gruppe sagt: „Das ist Willy Brandt aus der SPD, den vielleicht die eine oder der andere unter Ihnen kennt.“ Keine Reaktion. Die meisten wollen eigentlich nur wissen, ob die Bücher echt sind. Natürlich sind sie es, auch wenn sie wohl nicht oft in die Hand genommen werden, so neu sehen sie noch aus. Wie alles hier. Nur der pastellgrüne Teppichboden unter den roten Läufern hat bereits ein paar Flecken.

Im Kabinettsaal ist schon eingedeckt für die nächste Sitzung. Mit Namensschildern und Zuckerdöschen und Milchkännchen aus echtem Silber. Ein hagerer Berliner sagt: „Ich wollte mal sehen, was hier so aus meinen Steuergeldern gemacht wurde.“ Die kirschbaumfurnierte Platte des ellipsenförmigen Tischs werde demnächst zum dritten Mal ausgewechselt, weil sie farblich noch immer nicht zur Wandverkleidung passe, erzählt die Führerin im Plauderton. Genauso, wie sie ein Stockwerk tiefer im Bankettsaal die Geschichte mit den Stühlen zum Besten gibt. Axel Schultes, der Architekt, hatte grüne Essstühle vorgesehen, passend zu den mit Autolack gespritzten grünen Raumelementen. Doch Doris Schröder-Köpf habe auf den cremefarbenen Polsterstühlen bestanden. Mit einem Abendkleid wolle sie nicht auf einem grünen Stuhl sitzen. Und Gardinen hat sie dann auch gleich noch anbringen lassen. Zu den zart lachsfarbenen Rosengestecken auf dem Tisch mit dem weißen Geschirr, dem Silberbesteck und den Kerzenleuchtern macht sich auch das hübsch.

Eine ältere runde Frau aus dem Süddeutschen in einer lustigen blauen Hose mit weißen Punkten und rotem Blazer, die jede Farbharmonie sprengt, fragt: „Wo gehen die hier eigentlich auf die Toilette?“ Die Frage musste kommen. Denn eigentlich hatten alle gehofft, sie könnten auch mal ins Schrödersche Bad im achten Stock hineinschauen. In Versailles sieht man schließlich auch, wo sich die Regenten geliebt und gewaschen haben. Vor allem hält sich das hartnäckige Gerücht, man könne dem Kanzler schließlich auch von draußen auf der Toilette zusehen. Die Führerin muss passen: „Auf der Herrentoilette bin ich auch noch nicht gewesen.“

Unten im Gemenge, wo man sich im Reißverschlussverfahren mit den durch den Haupteingang hereinkommenden Besuchern vereint, geht es auf einer letzten Runde durchs Erdgeschoss in den anhängenden Bürotrakt. Ein kleines Mädchen fragt ihren Papa, warum hier überall diese Bänder gespannt sind. Ihr noch kleinerer Bruder antwortet: „Das ist eine Einsperrung!“ Ein paar Meter weiter arbeitet ein einziger Angestellter in seinem Untergeschossbüro mit Ausblick auf einen der begrünten Innenhöfe. „Vier Bildschirme! So ein Angeber!“, pöbelt ein Mann in der Reihe. „Kirschbaum, immer Kirschbaum“, fällt seiner Frau auf. Draußen im Kanzlergarten wird schon für das Kanzlerfest aufgebaut. Mit ruhiger Hand verlesene Gäste sind dazu am Abend eingeladen. Harald Hoffmann de Vere, der die Stadtansichten Berlins fürs Kanzleramt gemalt hat, verkauft an einem Tisch ein Leporello zu seinen Werken. Ein Mädchen möchte so ein „Faltteil“ haben. Die Mutter sagt: „Das kostet Geld, und Geld haben wir nicht.“

465 Millionen Mark hat der Kanzleramtsbau geschluckt. Jetzt wird noch mindestens eine neue Kabinettstischplatte besorgt. Wenn der Ton wieder nicht stimmt, vielleicht eine vierte. Auf einer Videowand im Garten läuft in einer Endlosschlaufe ein Film über den Wandel und Umzug des Kanzleramts. Immer am Ende ist Schröder zu sehen und zu hören: „Von hieraus wird nicht geherrscht, sondern regiert.“ – „Was das alles kostet!“, bemerkt der hagere Steuerzahler. Eine junge Frau mit Kinderkarre fragt sich, wo der Kanzler ist. Auf der Terrasse seiner Wohnung erscheint ein kleiner Mann. Die Freundin sagt: „Mensch, wink doch mal!“ Keine Erwiderung. War wohl nur einer vom Personal.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen