: Kleine Partei ohne große Idee
„Jetzt Wir“ will als jüngste Berliner Partei zur Wahl antreten, doch ihre Probleme sind schon ganz die der Alten. Trotzdem zeigt die „Partei von jungen Menschen“, dass Reinickendorf politisch noch mehr zu bieten hat als den CDU-Spitzenkandidaten Steffel
von OLIVER VOSS
Parteien haben für Jugendliche meist den Reiz einer Rentenversicherung. Das Verhältnis von Jugend und Politik ist bestimmt von gegenseitigem Desinteresse. Genauso überraschend wie konsequent war daher der Schritt von Berliner Jugendlichen, eine eigene Partei zu gründen. „Jetzt Wir“ tritt dagegen an, dass „keine Partei zukunftsorientiert jugendliche Interessen vertritt“.
Den Initiatoren aus Jugendprojekten und Schülervertretungen kam im Zuge der Bankenkrise die Idee der Parteigründung. In einer E-Mail an den Landeswahlleiter fragten sie, wie das denn ginge. „Man kann schon zu dritt eine Partei gründen“, stellte sich heraus, und da zudem am Tag zuvor die große Koalition geplatzt war, „lief der Rest fast von allein“, lacht Andreas Steyer. Fast über Nacht wurde der 22-jährige Informatikstudent so Parteivorsitzender.
Politische Erfahrung bringt Steyer aus dem Reinickendorfer Jugendparlament mit. Seit einem Jahr existiert dieses Gremium, in dem die 13- bis 19-jährigen Abgeordneten Vorschläge zur Mitgestaltung der Bezirkspolitik entwickeln. Andreas Steyer hat die in Berlin bislang einzigartige Institution maßgeblich mit aufgebaut, zur konstituierenden Sitzung erschien selbst der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und feierte das junge Engagement.
Doch von Seiten der CDU blieb es bei Lippenbekenntnissen. Der Versuch des Jugendparlaments, die Geschäftsordnung der Bezirksverordnetenversammlung zu ändern, um in jedem Ausschuss Rederecht zu bekommen, scheiterte an ihrem Widerstand. Der größte Erfolg des Jugendparlaments war eine Demonstration gegen Kürzungen im Jugendetat von 400.000 Mark, von denen daraufhin über die Hälfte zurückgenommen wurde.
Ebenfalls in Reinickendorf, wo auch der CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel seine Heimat hat, gründete „Jetzt Wir“ nun ihren zweiten Bezirksverband. Die örtliche Politszene sieht der Konkurrenz jedoch gelassen entgegen. „Belebt das Geschäft“, meint Anke Petters (B 90/Grüne), die allerdings erkennt, „dass wir uns als Partei dem Problem stellen müssen, wenn wir unsere Wählergruppen nicht erreichen“. Der Reinickendorfer Jugendstadtrat Peter Senftleben (SPD) betrachtet die junge Partei „nicht unbedingt als Konkurrenz“, fände es aber „langfristig sinnvoller“, wenn die Jugendlichen „sich in bestehende Parteien einklinken“. Die Zukunft von „Jetzt Wir“ sieht Senftleben „skeptisch, denn so etwas trägt erfahrungsgemäß nicht so lange“.
Die Partei hat hingegen inzwischen um die vierzig Mitglieder, etwa zwei Drittel sind Schüler. Viele sind zu „Jetzt Wir“ gekommen, um es anders zu machen als die herkömmlichen Parteien. Die Frage ist nur, wie. Schon der erste Parteitag zeigte, was Parteialltag ist, bevor er richtig begonnen hat. Vorstands- und Kandidatenwahl sind langwierig, Debatten um Formulierungen im Grundsatz- und Parteiprogramm mühsam. Doch das Programm steht jetzt: Jugend als zentrales Thema sowie „mehr Bürgerbeteiligung“ und ein „Stopp der Verschwendung in der Verwaltung“, benennt Andreas Steyer die Hauptforderungen für die Wahl.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Umgestaltung von Schule. Die Partei fordert dabei den „Ersatz der Schulpflicht durch eine Bildungspflicht“. Die Möglichkeit außerschulischen Lernens soll Schüler besser auf die Uni vorbereiten, was momentan genauso zu kurz kommt wie die Erziehung zu Selbstständigkeit und Demokratie. Mit solchen Forderungen ist man auf die Stimmen von Jugendlichen angewiesen, klar, dass auch die „Senkung des Wahlalters“ Programm ist.
Aber aus den eigenen Reihen kommt auch Kritik am Programm. „Total zaghaft“, meint beispielsweise Gründungsmitglied Jason Krüger. Der 23-Jährige gibt die Jugendzeitung Vorsprung heraus und in den Räumen seines Verlages „Junges Berlin“ hat die Partei ihr Wahlkampfbüro. Jeden Donnerstag trifft sich dort der „zusammengewürfelte Haufen“, wie Krüger die Partei bezeichnet, doch auf ihrer Suche nach größtmöglichem Konsens bleiben die „großen Ideen“ aus, klagt Krüger.
Das Ziel des Projektes war und ist es, eine Jugendinitiative zu formieren, die als breites Bündnis in den Bezirken und auf Gesamtberliner Ebene als Interessenvertretung aktiv ist. „Als politische Spitze eines Jugendprojekte-Netzwerks ist das eine sehr sinnvolle Geschichte“, findet Jason Krüger, doch von der Ausgangsidee einer Jugendinitiative ist „Jetzt Wir“ im Moment etwas abgekommen: „Die begreifen sich zu sehr als Partei.“ Die Einbindung anderer Jugendprojekte leide darunter.
Dafür berichtet Andreas Steyer vom Kontakt zu ähnlichen Jugendparteien in Bayern, Niedersachsen oder Sachsen-Anhalt. Diese zeigen, dass man durchaus Erfolg haben kann. „Future! – Die Jugendpartei“ aus Sachsen-Anhalt hat einen Sitz im Magdeburger Stadtrat und erzielte 0,8 Prozent bei der Landtagswahl 1998. Die Ziele von „Jetzt Wir“ sind ähnlich, „realistisch könnte ich mir 1 Prozent vorstellen“, sagt Andreas Steyer und „ab 1 Prozent gibt es ja Geld für jede Stimme“. Damit könnte man Projekte machen, um die „Situation von Jugendlichen auch außerparlamentarisch zu verbessern“.
Das Wahlergebnis ist für den jungen Familienvater aus Reinickendorf aber erst einmal zweitrangig. Bevor die Landesliste überhaupt zur Wahl zugelassen wird, müssen noch 2.200 Unterschriften gesammelt werden. Das hat der Landeswahlleiter auch gesagt. Allzu einfach ist das Parteimachen eben doch nicht.
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