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Manchmal hilft FlexibilitätSabbatjahr statt Kündigungsschutzaus Kopenhagen REINHARD WOLFF

Dänemark hat ein Arbeitsmarktproblem. Es heißt Arbeitskräftemangel. Die Arbeitslosigkeit ist mit knapp 5 Prozent die niedrigste seit 25 Jahren. Zwar klagen die Arbeitgeber bereits, dass der leer gefegte Arbeitsmarkt zu starken Lohnsteigerungen führt – grundsätzlich sind sie sich mit den Gewerkschaften jedoch einig: Es ist das dänische Arbeitsmarktmodell, das zu der niedrigen Arbeitslosenrate geführt hat.

Zufrieden sind auch die DänInnen selbst. 66 Prozent, mehr wie in jedem anderen EU-Staat und weit vor den zweit- und drittplazierten HolländerInnen und SchwedInnen mit 45 bzw. 35 Prozent, loben die Sicherheit, die das Sozialsystem ihnen bietet. Das ist erstaunlich, denn es gibt nicht viele Länder der Union, in denen die gesetzlichen Rechte der ArbeitnehmerInnen so schwach ausgestaltet sind, wie in Dänemark.

DänInnen haben einen wesentlich schlechteren Kündigungsschutz, als er beispielsweise in Deutschland oder Schweden besteht. Bei Arbeitsmangel, Problemen mit den Kollegen oder längeren Krankheitsperioden beträgt die Kündigungsfrist je nach Branche zwischen einer Woche und drei Monaten. Bauarbeitern können die Arbeitgeber sogar mit Zweitagesfrist kündigen, aber auch diese selbst dürfen von einem Tag auf den anderen gehen.

Diese „Flexibilität“ wird kaum in Frage gestellt. Sie ist historisch gewachsen, weil der Gesetzgeber sich aus der Regulierung des Arbeitsrechts weitgehend heraushielt und dieses Feld den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden überlassen hat. So gibt es in Dänemark weder ein Gesetz, das die maximale Arbeitszeit oder Minimallöhne vorschreibt, noch ein ausgefeiltes Kündigungsschutzrecht. Fragen der Arbeitszeit werden auf lokaler Ebene abgehandelt oder in jedem Betrieb selbst. Diese basisnahen Verhandlungen führten zu einer Vielzahl von Regelungen der Arbeitsorganisation, die durch Urabstimmungen abgesegnet werden müssen.

Dass all dies nicht auf Kosten der Arbeitnehmer geht, hat seinen Grund in einer starken Gewerkschaft mit einem hohen Organsiationsgrad. Sie greift immer dann ein, wenn es auf betrieblicher Ebene zu keiner Einigung kommt. Außerdem verteidigt sie Angriffe auf gesetzlich garantierte Arbeiterrechte und schreckt auch vor branchenübergreifenden Streiks nicht zurück.

Relativ leicht gekündigt werden zu können ist dann keine Katastrophe, wenn das soziale Schutznetz dicht geknüpft ist. Und das ist es in Dänemark trotz aller budgetbedingter Einschnitte noch immer. Spätestens nach einem Jahr „Stempeln“ wird es allerdings eng. Dann hat die Zumutbarkeitsgrenze für Beschäftigungen, die man annehmen muss, keine untere Grenze mehr. Schon nach drei Monaten muss der arbeitslose Lehrer einen Bürojob akzeptieren. Nach vier Jahren Arbeitslosenunterstützung bleibt nur noch die Sozialhilfe. Ist man dagegen älter als 55, kann man die Arbeitslosigkeit bis zum 60. Geburtstag hinauszögern und dann die nach wie vor recht großzügige Frühruhestandsregelung in Anspruch nehmen. Was dazu führt, dass viele Arbeitsplätze für jüngere Arbeitslose frei werden.

Anders als von deutschen Gewerkschaften gern behauptet, muss Flexibilität nicht immer nur der Arbeitgeberseite nutzen. Die DänInnen haben die Möglichkeit, ihr eigenes Arbeitsleben relativ flexibel zu gestalten. So können sie für ein Studium oderzur Kinderbetreuung ein „Sabbatjahr“ nehmen. 3 bis 4 Prozent der DänInnen machen davon Gebrauch. Dies trug ebenso wie der wieder größer werdende öffentliche Sektor zum Abbau der Arbeitslosigkeit bei. Andererseits führt der augenblickliche Mangel an Arbeitskräften dazu, dass die Regierung bereits über die Abschaffung des Sabbatjahres nachdenkt.

35-Stunden-Woche brachte wenig

aus Paris DOROTHEA HAHN

Fast hatten sich die Franzosen schon an die monatliche Erfolgsmeldung aus Paris gewöhnt: „Wieder mehr Arbeitsplätze geschaffen.“ Die Arbeitslosigkeit ging in Frankreich binnen vier Jahren von 12,6 auf 8,5 Prozent zurück. Von über 3 Millionen auf knapp 2 Millionen Menschen. Doch dann kam der Mai 2001 – und mit ihm die Meldung, die sich seither jeden Monat wiederholt: Mehr Arbeitslose. Insgesamt betrug der Zuwachs in den Monaten bis Juli 54.000.

„Das ist kein gutes Resultat“, gibt die sozialdemokratische Arbeitsministerin Elisabeth Guigou zu. Verantwortlich macht sie den weltweiten Konjunkturrückgang, der von den USA auch auf Frankreich überschwappe, wenngleich weniger stark als auf die anderen europäischen Länder. Beigetragen habe jedoch auch die Abschaffung des Militärdienstes, die mehr junge Männer zum Arbeitsamt gehen ließe.

Die rot-rosa-grüne Regierung hat die Beschäftigungspolitik von Anfang an zu ihrem vorrangigen Ziel gemacht. Als erstes Land der Welt führte sie per Gesetz die 35-Stunden-Woche ein. Entgegen dem europäischen Mainstream finanzierte sie ein großes – zu 80 Prozent staatlich getragenes – Programm, das 350.000 zeitlich befristete Jobs für junge Leute unter 25 Jahren schuf. Und im Namen der „Rückkehr zur Beschäftigung“ setzte die Regierung in diesem Jahr auch den „PARE“ durch – jenen Plan, der Arbeitslose, die sich „anstrengen“ einen Job zu finden und bereit sind, schlechtere Löhne in Kauf zu nehmen, unterstützt und die anderen mit dem Entzug von Leistungen bestraft.

Diese Beschäftigungspolitik wird den französischen Staat auf absehbare Zeit alljährlich Milliarden kosten. Darüber ereifert sich die konservative Opposition, und auch die Arbeitgeber schimpfen über den staatlichen Dirigismus. Doch selbst der linke Flügel der Regierung ist unzufrieden. Vor allem wegen der fragwürdigen Ergebnisse.

Auch die Statistiken sind umstritten. Charles Hoareau, Sprecher der Arbeitslosengruppen von Marseille, beobachtet gegenwärtig eine „beispiellose Reinigung der Arbeitslosenstatistiken“. Alle möglichen Kategorien von Arbeitslosen tauchen darin nicht mehr auf – auch wenn sie weiter eine feste Beschäftigung suchen. Aus den Statistiken herausgeflogen sind unter anderem: Menschen mit Gelegenheitsjobs über 76 Arbeitsstunden im Monat (400.000); SozialhilfeempfängerInnen (1,1 Millionen); über 55-Jährige; Leute in den befristeten staatlich finanzierten Hilfsjobs CES (mehrere hunderttausend) und sämtliche Arbeitslosen in „Fortbildungsmaßnahmen“. Hoareau: „In Frankreich ist nur die eingetragene Arbeitslosigkeit zurückgegangen, die Zahl der wirtschaftlich von der Lohnarbeit Ausgeschlossenen ist weiter angestiegen. Sie liegt bei 5,2 Millionen Menschen.“

Beschäftigungspolitisch umstritten ist auch das 35-Stunden-Gesetz selbst. Claire Villiers, einstige Sprecherin der landesweiten Arbeitsloseninitiative „AC“, erinnert daran, dass die Regierung keinen Zwang zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in das Gesetz eingebaut hat. „Das war selbst bei der früheren konservativen Regierung anders, die punktuell Arbeitszeitverkürzungen einführte.“

Kein Wunder, dass die Arbeitgeber die Einführung der 35-Stunden-Woche dazu genutzt haben, ihre Betriebe radikal durchzurationalisieren. Fast alle haben ihren Beschäftigten die Jahresarbeitszeit aufgezwungen. Das heißt, die Arbeiter müssen bei betrieblichem Bedarf nun sechs, statt bisher fünf Tage in der Woche arbeiten. Und können die Überstunden dann abfeiern. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze war so gering.

Selbst Arbeitsministerin Guigou tut sich schwer mit einem guten beschäftigungspolitischen Beispiel. In diesen Tagen verhandelt sie mit den Gewerkschaften der 760.000 Beschäftigten der staatlichen Krankenhäuser über die 35-Stunden-Woche-, die dort im Januar eingeführt wird. Statt der mindestens 48.000 neuen Arbeitsplätze, die rein rechnerisch nötig wären, um die Lücken zu füllen, will sie nur 40.000 schaffen. Sollte sie sich durchsetzen, könnte es ab Januar in den französischen Krankenhäusern gefährlich werden.

Holland braucht Arbeiter aus Polen

aus Amsterdam HENK RAIJER

Mag sein, dass sich der Himmel über dem „holländischen Wunder“ seit einigen Monaten verdunkelt, wie Die Zeit kürzlich unkte. Dennoch sind die Niederlande im EU-Vergleich das Land mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit, und: diese sinkt nach wie vor schneller als im Durchschnitt. Während in den letzten vier Jahren die Zahl der Erwerbslosen in den Staaten der Union jeweils um etwa ein Fünftel zurückging, sank sie im Musterstaat Holland um mehr als die Hälfte! Und immer noch suchen Unternehmer händeringend nach Personal, das zunehmend auch aus den Nachbarstaaten sowie aus Polen und Tschechien rekrutiert wird. In der Computerbranche etwa kamen im ersten Quartal diesen Jahres auf je 1.000 Stellen 77 Vakanzen, im Bereich der kommerziellen Dienstleistungen lag diese Zahl bei 62. Derzeit beträgt die Arbeitslosenquote in Holland laut Eurostat 2,3 Prozent, gut zwei Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung (10,6 Millionen Menschen zwischen 15 und 64 Jahren) haben nach Angaben des „Centraal Bureau voor de Statistiek“ (CBS) einen Job.

Das Geheimnis des Erfolgs: das „Poldermodell“, die konzertierte Aktion von Staat, Industrie und Gewerkschaften für neue Arbeitsplätze – ein Ergebnis typisch holländischer Konsens- und Verhandlungsdemokratie zur Stabilisierung der sozialen Marktwirtschaft. Das „Poldermodell“ gilt als holländische Variante des Bündnisses für Arbeit, es wurde Ende der 80er zur Zeit der Regierung des Christdemokraten Ruud Lubbers angeschoben. Die Früchte durfte sein sozialdemokratischer Nachfolger Wim Kok ernten – nicht zuletzt dank boomender Wirtschaft und beispielloser Flexibilisierung der Arbeitswelt.

Maßnahmen wie Lohnmäßigung, Förderung von Teilzeitarbeit und Frühverrentung, Privatisierung der Arbeitsvermittlung, die Zunahme zeitlich befristeter Arbeitsverträge und die Schaffung eines günstigen Investitionsklimas haben die Position niederländischer Unternehmen auf dem Weltmarkt verbessert. Und dies alles lief ohne größere Proteste der Beschäftigen ab.

Laut einer im August veröffentlichten Studie des britischen Wirtschaftsforschungsinstituts Economist Intelligence Unit (EIU) ist Holland in den nächsten fünf Jahren absoluter Hotspot für Investoren. Nach Angaben des EIU, das das unternehmerische Klima in 60 Ländern untersucht hat, haben die Niederlande die USA von Platz eins verdrängt. Deutschland folgt auf Rang 11.

Das „Wunder“ zeigt jedoch Dellen. Während die Zahl der neuen Arbeitsplätze nach wie vor anwächst – wenn auch jeder Zweite ein schlecht bezahlter Teilzeitjob ist –, rutschte im zweiten Quartal 2001 Hollands Wirtschaftswachstum erstmals seit Jahren unter die Marke der Eurozone. Nach satten 4 Prozent von 1998 kam man im Juli nur noch auf 1,6 Prozent. Die Inflationsrate, 1995 bei 2 Prozent, liegt heute mit 4,5 Prozent über der der Eurozone.

Also langfristig gesehen doch ein Scheinwunder? Nun, ganz sauber waren die Zahlen von Anfang an nicht, kamen doch Frührentner und Berufsunfähige (heute 1 Million Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von 16,2 Millionen) in der Arbeitslosenstatistik nicht vor und profitierte von den Immigranten nur ein vergleichsweise geringer Anteil vom „Poldermodell“. Trotzdem ist das „holländische Wunder“ ein populäres Studienobjekt der mehrheitlich sozialdemokratisch regierten EU-Partnerländer bei der Suche nach Lösungen für den heimischen Arbeitsmarkt.

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