: Nächste Woche in Joschkas Büro
Wir brauchen einen neuen Friedensprozess im Nahen Osten. US-Präsident Bush steht ihm im Weg. Deswegen muss die UNO aktiv werden – mit viel Unterstützung aus Europa
Obwohl Präsident Bush zunehmender Kritik aus aller Welt ausgesetzt ist, weil er bei der Weltkonferenz über Rassismus in Durban schwierigen Fragen aus dem Weg ging, verzichtet er nach wie vor auf ernsthafte Verhandlungen in der explodierenden israelisch-palästinensischen Krise. Aber trotz der Empörung amerikanischer und internationaler Politiker und Meinungsmacher steht diese Zurückhaltung in Nahost den USA vielleicht gar nicht so schlecht zu Gesicht. Vielleicht ist jetzt wirklich der rechte Augenblick für eine neue, nicht von den USA ausgehende diplomatische Initiative gekommen.
Nächste Woche, in Joschka Fischers Büro, wird es wohl noch nicht so weit sein. Aber wenn der deutsche Außenminister wirklich ein Beispiel geben will, dann könnte die Begründung einer umfassenderen europäischen und internationalen Position langfristig bessere Chancen auf Frieden bieten als alle bisherigen Leistungen Washingtons. Die EU greift bereits jetzt dort ein, wo die USA sich heraushalten. Europäische Diplomaten trugen Ende August dazu bei, die zweitägige Besetzung der palästinensischen Stadt Beit Jala durch israelische Panzer zu beenden. Und in dieser Woche versucht Javier Solana in ständigen Gesprächen mit israelischen und palästinensischen Vertretern einen neuen Waffenstillstand auszuhandeln.
Eine solche europäische Beteiligung gewinnt besondere Bedeutung im Licht der israelischen Besetzung des Orienthauses in Ostjerusalem, der inoffiziellen Vertretung der PLO. Darin lag nicht nur eine Botschaft an die Palästinenser, sondern auch an die internationale Gemeinschaft: Unsere Bedingungen haben sich geändert, teilte Israel mit dieser Maßnahme der Welt mit; von jetzt an habt ihr kein Recht mehr, diplomatisch mit Palästina oder den Palästinensern zu verkehren. Wollt ihr jetzt noch mit den Palästinensern reden, dann nur noch über uns. Und die Palästinenser sollten wissen: Der Status des besetzten Ostjerusalem, ganz zu schweigen von der Möglichkeit eines palästinensischen Staates mit einer Hauptstadt in Jerusalem, steht nicht länger auf der Tagesordnung.
So kurzlebig die bedrohlichen Wiederbesetzungen der Innenstädte von Jenin, Hebron und Beit Jala und die Einsätze im Luftraum über Ramallah auch sein mögen – sie machen ebenso wie die offizielle Politik der Ermordung palästinensischer Führer und Aktivisten deutlich, dass Israels frühere Vereinbarungen nichts mehr wert sind. Das Spiel beginnt von vorn.
Joschka Fischer hat erkannt, dass ein solches Szenario dringend nach einer internationalen Reaktion ruft. Selbst das Weiße Haus hat zugegeben, dass die Besetzung des Orienthauses eine „politische Eskalation“ darstellte. Aber eine solche Kritik bleibt ziemlich wirkungslos, wenn die USA nicht zugleich Maßnahmen einleiten, um diese Eskalation rückgängig zu machen, sondern stattdessen ihre gegenwärtige Politik fortsetzen: Weiterhin fließen Milliarden Dollar Militär- und Wirtschaftshilfe nach Israel. Weiterhin werden Hubschrauber und Kampfflugzeuge an Israel geliefert und gegen zivile Ziele in den besetzten Gebieten eingesetzt. Das US-Veto gegen die Entsendung internationaler Beobachter in die Region isoliert Washington und stellt es außerhalb des UN-Konsenses.
Diese Maßnahmen laufen darauf hinaus, dass die USA Israel internationale Straflosigkeit zusichert – die Garantie, dass Israel für seine Verletzungen des internationalen Rechts, der UN-Resolutionen und sogar der von ihm selbst unterzeichneten Verträge nicht zur Rechenschaft gezogen wird.
Die US-Politik bietet in dieser Situation keine große Hilfe. Ganz im Gegenteil. Wenn die USA wirklich „der Gewalt ein Ende machen“ wollten, dann müssten sie sich auch ernsthaft mit den Ursachen der Gewalt auseinandersetzen. Die israelische Friedensgruppe Gusch Schalom fand den treffenden Kommentar. Auf den Schrecken des Bombenanschlags gegen die Pizzeria, bei dem 15 Israelis ums Leben kamen, reagierte sie mit dem schmerzerfüllten Aufschrei: „Die Besetzung bringt uns alle um – sie bringt Palästinenser um, und sie bringt Juden um.“
Das Ende der Gewalt setzt das Ende der Besetzung voraus. Und die US-Politik zielt nicht auf ein Ende der Besetzung ab. Deshalb brauchen wir eine andere Diplomatie, mit anderen Vorreitern. Die USA haben ihre Chance gehabt. Sie haben versucht, die Krise zu lösen, ohne die Besetzung zu beenden, und das ist fehlgeschlagen. Washington kritisierte die Angriffe auf Jenin und Beit Jala, widersetzt sich aber dennoch jeder offiziellen UN-Beobachtung oder dem UN-Schutz für die Palästinenser.
Ein erfolgreicher Friedensprozess wird die Forderungen der gesamten internationalen Gemeinschaft spiegeln und auf einem anderen Plan aufbauen müssen als auf Washingtons gescheiterter Strategie. Das bedeutet, dass die Vereinten Nationen die Führung übernehmen müssen, mit Europa als wichtigstem Rückhalt. Allein die Vereinten Nationen verfügen weltweit über die Legitimation dafür, globale Überlegungen zu koordinieren und ein Gegengewicht gegen die USA aufzubauen. Die Europäische Union befindet sich in einer günstigen Position, um in Partnerschaft mit den Vereinten Nationen eine solche Verantwortung zu übernehmen.
Obwohl Fischer den, wie er sagte, amerikanischen Vorrang in der Nahostdiplomatie bekräftigte, könnte seine Einladung an die Parteien zu einem Treffen in Berlin die erste Möglichkeit für eine solche Initiative eröffnen. Im ersten Anlauf werden seine Bemühungen mit Sicherheit scheitern. Aber wenn das Treffen in Berlin als erster Schritt zu einer neuen, umfassenden, von Europäern angeführten diplomatischen Kampagne der UN gesehen wird, kann es ein wichtiges Beispiel liefern. Vielleicht führt es dazu, dass die EU den USA ein für allemal deutlich macht, dass sie nicht mehr bereit ist, die exorbitanten Rechnungen für einen inzwischen todgeweihten Friedensprozess zu bezahlen und zugleich diplomatisches Stillschweigen zu bewahren – dass es jetzt Europa obliegt, die diplomatische Führung zu übernehmen.
Warum brauchen wir einen neuen diplomatischen Vorreiter? Ganz einfach, weil wir eine vollständig neue Diplomatie brauchen, eine Diplomatie, die sich nicht mehr allein der „Normalisierung“ und der „Milderung der Ungerechtigkeiten“ widmet, die dem ungeheuren Ungleichgewicht der Macht zwischen Israel und den Palästinensern entspringen, zwischen Besetzern und Besetzten. Stattdessen brauchen wir einen neuen Friedensprozess, der sich auf Menschenrechte und Gleichheit gründet, auf internationales Recht und auf UN-Resolutionen.
Mit der Besetzung des Orienthauses hatte Israel deutlich gemacht, dass der internationalen Gemeinschaft bei der Beendigung dieser durch die Besetzung angetriebenen Gewaltkrise keine Rolle zustehen soll. Wenn George Bush nicht mehr im Wege steht, kann Joschka Fischer vielleicht beginnen, den Israelis ihren Irrtum deutlich zu machen. PHYLLIS BENNIS
Übersetzung: Meino Büning
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