: 1.500 Jahre ALDÜ
Seit der Renaissance boomt das Geschäft der Brüder Albert und Albrecht Dürer
Die Anfänge der Selbstbedienung liegen im Dunkel der Geschichte. Eines aber ist so sicher wie die Schlange vor der Supermarktkasse: Sie ist so alt wie die Menschheit selbst. Schon Adam und Eva versuchten sich selbst zu bedienen, sie hatten jedoch die Rechnung ohne Gott gemacht. ER nämlich wollte seine mühsam erarbeitete Verkaufsposition für das wahrhaft paradiesische Warenangebot nicht einfach aufgeben. Lieber wollte ER seine Jonagold-Äpfel selbst über die Ladentheke schieben . . .
So ging das durch die Jahrtausende. Bis im Jahr 1501 die Zwillingsbrüder Albert und Albrecht Dürer aus Nürnberg sich vom biblischen Tante-Emma-Prinzip frei machen konnten und den ersten Selbstbedienungsmarkt des ausklingenden Mittelalters eröffneten: ALDÜ, den, wie zeitgenössische Chronisten berichten, „megastarcken Marcken-Disckounter im Zeichen der Burg“.
Der gewiefte Gewürzhändler Albert Dürer, Teilnehmer an Christoph Kolumbus’ Entdeckung Amerikas im Jahre 1492, hatte in der Neuen Welt die unbekümmerte Selbstbedienungsmentalität der Ureinwohner erlebt und war auf die zündende Idee gekommen, den amerikanischen Cash & Carry-Gedanken in seine Heimatstadt, die altfränkische Lebkuchenmetropole, zu transferieren. Die beginnende Neuzeit, so sein einleuchtender Gedanke, sollte mit einem gänzlich neuen Einkaufserlebnis würdig eingeläutet werden. Eine große Scheune nahe der Nürnberger Burg war rasch umgebaut, und am 8. September 1501 eröffnete der größte profane Renaissance-Supermarktbau nördlich der Alpen seine Pforten.
Tolle Eröffnungsangebote und Freibier bis zum Abwinken ließen das mittelalterliche Kleinkrämerwesen schnell in Vergessenheit geraten. Die Geschäftsidee der Dürer-Brüder schlug im Fränkischen ein wie eine Preisbombe: „Der ALDÜ“ wurde zum Synonym für Hammerpreise sonder Zahl und bald ein magischer Anziehungspunkt für die preisbewussten Verbraucher, die schnell auf das ALDÜ-Konzept der „ausgesuchten Qualität zu möglichst niedrigen Preisen“ eingeschworen waren. Neben gut gefüllten Regalen mit Waren des täglichen Bedarfs lockten immer wieder aktuelle, sehr attraktive und erstaunlich preiswerte Aktionsartikel wie zum Beispiel figurformende Damen-Feinstrumpfhosen mit Lifteffekt oder Duftölsets aus naturreiner Herkunft in das Dürer’sche Einkaufsparadies.
Das Geheimnis der „Billigen Brüder“: Minipreisstrategie, Warenpräsentation und Filialausstattung ohne übertriebenen Aufwand. Über allen Waren hingen, gut sichtbar, große Preisschilder und die „flotten“ Kassiererinnen an den Rechenschiebern hatten alle Preise im Kopf. Der großzügig bemessene Ochsenkarren-Parkplatz tat ein Übriges zur umfassenden Kundenzufriedenheit. So machte der Einkauf richtig Spaß, ja, wurde zum Family-Event – kein Wunder also, dass sich die Idee der findigen Self-Service-Pioniere im Laufe der Jahrhunderte überall durchsetzte und der Selbstbedienungsgedanke aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken ist. Doch zurück zu den Anfängen:
Während Albert Dürer für die kaufmännischen Belange und die Warenbestellung zuständig war, kümmerte sich Albrecht, ein begeisterter Hobbykupferstecher, Holzschneider und begnadeter Freizeitmaler, um die Warenpräsentation und die Preisauszeichnung. Die Gestaltung der Preisschilder in Holzschnitttechnik war für die damalige Zeit eine revolutionäre Neuerung. Die wenigen erhaltenen original ALDÜ-Preistafeln wie etwa das legendäre „9,98 Taler“-Schild für Kleinkinder-Schlafoveralls in supersofter Frotteequalität sind heute heiß begehrte Sammlerstücke und erzielen auf Auktionen Schwindel erregende Preise.
Auch an die damals zahlreichen Analphabeten wurde gedacht: Albrecht Dürers leicht verständliches Warendisplay für „Vier Apostel-Wein“ oder die Osterhasenwerbung in gekonnter Kupferstichtechnik waren für die ungebildete Landbevölkerung ohne weiteres verständlich und zählen zu den frühesten Zeugnissen spätmittelalterlicher Werbegrafik. Schade nur, dass eines der Aufsehen erregendsten Motive aus Dürers Werkstatt nicht mehr erhalten ist – die Holzschnitt-Reklametafel für eine Lebkuchen-Backmischung: „Knetende Hände“. RÜDIGER KIND
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