: Die „Königsdisziplin“ der politischen PR
Deutsche Politiker lassen sich im Wahlkampf zunehmend von Image-Profis wie der „Politikagentur“ beraten
Allgegenwärtig ist vielen Hauptstädtern der letzte Berliner Wahlkampf, in dem die Agentur „publicis“ dem blassen Regierenden Bürgermeister mit der Kampagne „Diepgen rennt“ ein jugendliches Image verpassen wollte. Heute rennt Diepgen immer noch – allerdings als einsamer Jogger im Berliner Grunewald. Die Kameras haben abgedreht und richten ihre Linsen vor allem auf Klaus Wowereit, den neuen Regierenden. Obwohl dieser sich mit einem medienwirksamen Coming-out in die Schlagzeilen katapultiert hat, nimmt auch Wowereit und mit ihm die Berliner SPD die Dienste von PR-Agenturen in Anspruch.
Mitten in Berlin-Kreuzberg, umgeben von Sozialprojekten, türkischen Bäckereien und Kneipen, liegen die Büros der „Politikagentur“. Junge Leute, kaum älter als 20 Jahre, hacken eifrig auf die Tastatur ihrer Rechner. Das Frühstück nehmen sie im Stehen an der kleinen Holztheke ein, die gleich neben dem Eingang steht. Über der Küchenzeile hängt ein buntes Ölbild vom Brandenburger Tor. Kurz: Man ist modern.
Vor einem Jahr hat Rudolf Hetzel mit zwei Mitstreitern die Agentur gegründet, die sich vor allem auf den Bereich der Politikberatung spezialisiert hat. „Wir verstehen uns als Pioniere der politischen Kommunikation“, erklärt der 27-jährige Firmenchef und Geschäftsführer selbstbewusst. Im Gegensatz zu klassischen Werbeagenturen, die etwa Autos oder Zahnpasta verkauften, sei die „Königsdisziplin“ der politischen PR ungleich komplizierter: „Wir haben es bei Wählern nicht mit einem klar definierten Zielpublikum zu tun, sondern mit vielschichtigen Bevölkerungsgruppen.“ Wer mit einem Millionenetat über drei Monate ein Auto bewerbe, könne anschließend an den Verkaufszahlen den Erfolg der Kampagne ablesen. Bei der politischen PR sei das anders, weil zahlreiche Unbekannte für die Wählerentscheidung eine Rolle spielten: „Politische Werbung“, meint der diplomierte Politologe, „kann nichts ins Gegenteil drehen, denn gegen den Trend kann man nicht arbeiten.“
Besonders an die klassischen sozialdemokratischen Stammwähler richtet sich das Werben der „Politikagentur“: „Wenn unsere Leute unzufrieden sind“, glaubt Hetzel, der selbst SPD-Mitglied ist, „wählen die nicht die CDU, sondern bleiben Zuhause.“ Um die eigenen Wähler zu mobilisieren, greift die Agentur tief in die Trickkiste der empirischen Sozialforschung: Neue Broschüren, mit denen man etwa Jungwähler erreichen will, werden mit jungen Leuten in moderierten Workshops, so genannten Fokus-Gruppen, vorgestellt. In den Diskussionen wird überprüft, ob Aufmachung und Inhalt der Broschüre das Zielpublikum überhaupt erreichen. Erst dann fällt die Entscheidung: Papierkorb oder Druckerei.
Auch die Daten der letzten Landtagswahl sind für die Mitarbeiter der „Politikagentur“ eine wichtige Informationsquelle, um ihre Kampagne zielgenau aufzubauen. „Es gibt Straßenzüge, in denen wir mehr als dreißig Prozent bekommen haben, in anderen lag die SPD gerade bei fünf Prozent.“ Mit Hausbesuchen, Anschreiben oder Flugblättern wird auf dieser Datengrundlage geworben. „In manchen Regionen könnte es zum Beispiel besonders wichtig sein, sich auf Erstwähler zu konzentrieren“, erläutert Hetzel das Konzept des so genannten Targeting.
Insgesamt zwanzig Mitarbeiter hat das politische Start-up-Unternehmen, das auch für die Wirtschaft und Non-Profit-Organisationen wie die Arbeiterwohlfahrt PR-Konzepte entwickelt. Die Hälfte von ihnen sind Studenten, die ihren Weg zur Politikberatung meistens über ein Praktikum gefunden haben. Praktikanten bekommen monatlich eine Aufwandsentschädigung von 500 Mark, studentische Hilfskräfte werden mit mindestens 1.000 Mark entlohnt. Neben diesem finanziellen Ansporn dürften aber vor allem die Gestaltungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle spielen. Junge Leute entwickeln PR-Strategien, um Gleichaltrige anzusprechen. Selbst studentische Hilfskräfte sind für einzelne Bereiche oder ganze Projekte verantwortlich. „Die können“, meint Rudolf Hetzel mit Blick auf die Zusammenarbeit mit der Politprominenz, „ziemlich schnell in der Ersten Liga mitspielen.“
Hauptsächlich aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich rekrutiert die Agentur ihren Nachwuchs. Aber auch Grafiker, Datenbankmanager oder Netzwerktechniker sind gefragt. Unabhängig von der fachlichen Qualifikation kommt es vor allem auf soziale Fähigkeiten an: „Die Leute sollten gerne kommunizieren und verhandeln, Kreativität besitzen und leidenschaftliche Teamspieler sein.“ Eine weitere wichtige Qualifikation sei das „generelle Interesse an Politik“. Dieses muss allerdings nicht auf eine bestimmte Partei gerichtet sein: „Wir arbeiten grundsätzlich mit jeder demokratischen Organisation zusammen“, so Hetzel. Eine wesentliche Einschränkung bei der Kundschaft gebe es trotzdem: „Für die Rüstungs- oder Atomindustrie machen wir nichts.“ Und das ist auch gut so. VOLKER ENGELS
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen