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Die Angst vor der Angst

Erste Bilanz der Firmen, die Büros im World Trade Center hatten. Wirtschaft fürchtet vor allem die Unsicherheit

von K. KOUFEN, H. KOCH, C. VOGT

Noch sind die 435 Unternehmen, die ihre Büros im World Trade Center hatten, mit der Schadensaufnahme beschäftigt. Wann, wo und wie werden ihre Büros die Arbeit wieder aufnehmen können, was geschah mit den 40.000 Angestellten, die dort an einem normalen Tag arbeiteten? Die Investmentbank Morgan Stanley, mit 25 Stockwerken größter Mieter im World Trade Center, stellte gestern bereits klar, dass alle Geschäftsbereiche funktionsfähig seien – die Anleger sollten sich keine Sorgen machen. Von ihren maximal 3.500 Beschäftigten, die im Komplex arbeiten, hätten sich die meisten bis gestern gemeldet.

Schlimmer als die tatsächlichen Schäden freilich könnten für die Wirtschaft die psychologischen Auswirkungen sein. Wenn global agierende Terroristen das symbolische Zentrum des internationalen Handels in Schutt und Asche legen können, macht das keine Hoffnung auf eine sichere und positive Entwicklung der Weltwirtschaft. Ohnehin steht es mit der ökonomischen Stimmung nicht zum Besten. Die Aktienkurse stürzten vielerorts ins Bodenlose. Der Börsenwert der im Deutschen Aktienindex (Dax) notierten 30 wichtigsten Unternehmen hat sich fast halbiert. Alleine in den USA haben Anleger in den vergangenen anderthalb Jahren mehr als drei Billionen Dollar verloren.

Japans Wirtschaft schrumpft ebenso. Und in Europa nehmen die Wachstumsraten ab. Erstmals seit dem 2. Weltkrieg, so argumentiert mittlerweile auch Deutsche-Bank-Chefökonom Norbert Walter, erlebten die drei entscheidenden Wirtschaftsblöcke der Welt einen gleichzeitigen Abschwung. In einer solchen Situation kann ein Ereignis reichen, um den Negativtrend zu beschleunigen.

Psyche der Amerikaner

Denn die Amerikaner könnten auf die Terrorattacke mit Verunsicherung reagieren: Statt wie bisher ihr Geld bis auf den letzten Cent für den Konsum auszugeben, sparen sie womöglich für künftige schlechtere Zeiten. Die Folge wäre ein Rückgang der Produktion und damit eine weitere Abschwächung der Konjunktur.

Denkbar wäre auch, dass die US-Bürger ihre Konten leer räumen aus Angst vor neuen Katastrophen. Das ist bislang jedoch nicht der Fall. Vorsorglich hat Notenbankchef Alan Greenspan aber schon versprochen, den Banken in einem solchen Fall mit Extrakrediten zu helfen.

Weitere potenzielle Risikofaktoren stellen Ölpreis und Börsenkurse dar. Teurer Sprit ist traditionell eine der Hauptbremsen für die Weltkonjunktur. Und bei den Aktienkursen ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass der Abwärtstrend sich nach kurzem Aufatmen fortsetzt – wie so oft in den vergangenen Monaten. Sollten die Aktiengesellschaften weiter an Kapital verlieren, könnten die Banken die Kreditvergabe irgendwann einstellen.

Der Bremer Finanzmarkt-Experte Jörg Huffschmid meint allerdings, dass sich die weltwirtschaftliche Lage „nicht ruckartig verschärft“ – nicht zuletzt, weil Greenspan so schnell und besonnen reagiert und den Banken seine volle Unterstützung versprochen hat. Allenfalls, so Huffschmid, werde sich der Abschwung, der ohnehin im Gange ist, fortsetzen. Auch Silke Tober vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erklärte gegenüber der taz, auf die konjunkturelle Entwicklung der Weltwirtschaft seien keine Auswirkungen der Terroranschläge zu erwarten. „Zwar hat es Panikreaktion gegeben, die laufen aber wahrscheinlich von selbst wieder aus.“ Selbst wenn sie dies nicht täten, bestehe keine Gefahr: Es gebe genügend wirtschaftspolitische Reaktionsmöglichkeiten.

Dem widersprach Rüdiger Pohl, Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Politik und Notenbanken könnten derzeit nicht viel tun. „Es ist wie nach einem Herzinfarkt. Der Patient ist nicht stabil. Wenn die verunsicherten Verbraucher in den USA an den Aktienmärkten ihr Portemonnaie zumachen, steht am Ende die Rezession.“

Mythos Dollar

So wie Amerika unverwundbar schien, galt auch seine Währung als sicherer Hort. Bürgerkriege, Militärputsche oder innere Unruhen sind für Investoren vor allem „Stabilitätsrisiken“. Die USA blieben mehr als ein halbes Jahrhundert lang von solchen Übeln verschont. „Bei früheren Krisen ging man deshalb in den Dollar“, sagte ein Mitarbeiter der Bundesbank gestern der taz. Der Dollar wertete dann auf.

Nach den Attentaten dann plötzlich das umgekehrte Szenario: Die Vereinigten Staaten werden von Terrorattacken völlig überrascht, der Mythos der Unangreifbarkeit ist dahin – und der Dollarkurs sinkt, binnen wenigen Stunden um knapp zwei Cent gegenüber dem Euro. Der Börsenhistoriker David Schwartz wies gestern in BBC Online darauf hin, es habe noch nie einen vergleichbaren Börsenschock wie am Dienstagnachmittag gegeben: „Der Angriff auf Pearl Habor geschah an einem Sonntag, und der Golfkrieg zeichnete sich schon Monate vorher ab.“

Für den Währungsexperten Peter Bofinger rückt die Katastrophe in den USA die verzerrte Wahrnehmung von Dollar und Euro etwas gerade. „Ich habe das Gefühl, über die US-Wirtschaft sind jahrelang nur gute Nachrichten in den Medien gelaufen, während der Euro ständig mies gemacht wurde.“ Folglich sei der Euro fundamental unterbewertet. Das könnte sich seit Dienstag ändern. Denn: „Wechselkurse sind reine Psychologie.“

Allerdings würde ein zu rascher Dollarabfluss schnell zur Gefahr für die Weltwirtschaft: Steigt der Eurokurs massiv, würgt das den europäischen Exportboom ab und schwächt die Konjunktur. Gleichzeitig könnte der Dollarzufluss aus dem Ausland in die USA schwinden. Dann haben die Amerikaner ein Zahlungsproblem. Das könnte in eine Rezession führen.

Dem wollen Finanzpolitiker und Notenbankchefs in aller Welt vorbeugen: Wim Duisenberg, Chef der EuropäischenZentralbank, bot seinem Kollegen Greenspan „jede mögliche Form der Hilfe“ an. Finanzminister Hans Eichel (SPD) sagte gestern, die Bundesregierung befinde sich in enger Abstimmung mit den europäischen Partnern, den Zentralbanken und in Kooperation mit der US-Regierung. Ziel sei es, gemeinsam für ein Funktionieren der Finanzmärkte Sorge zu tragen. Während Duisenberg längerfristige Konsequenzen der Anschläge für die Finanzmärkte nicht ausschließt, hält Eichel die Warnungen vor einer Weltwirtschaftskrise für „Quatsch“.

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