: „Da bleibt nur die Asche übrig“
Professor Volkmar Schneider ist leitender Gerichtsmediziner an der Freien Universität Berlin
taz: Wie gehen Sie als Gerichtsmediziner vor, um unbekannte Leichen identifizieren zu können?
Volkmar Schneider: Das ist natürlich davon abhängig, in welchem Zustand die Leichen sind. Ob sie hochgradig verbrannt sind oder nur teilweise, ob sie zerstückelt sind, noch vollständig bekleidet oder gar noch persönliche Gegenstände bei sich haben. Aber selbst bei hochgradig zerstörten Brandleichen besteht unter Umständen noch die Möglichkeit, sie anhand bestimmter Merkmale zu identifizieren, der Blutgruppe zum Beispiel.
Und wenn die Leichen vollständig verbrannt sind?
Auch bei sehr stark verbrannten Leichen ist es häufig noch möglich, aus dem Inneren Material zu gewinnen, um die DNA zu untersuchen, also einen genetischen Fingerprint zu gewinnen. Wenn man dann Familienangehörige hat, kann man wie beim Vaterschaftsgutachten auch prüfen, ob die Brandleiche derjenige oder diejenige ist, die vermisst wird.
Wenn sehr viele Menschen betroffen sind, wie jetzt in New York, muss man aber erst einmal eine vollständige Liste haben?
In den USA besteht noch die Möglichkeit, dass bei manchen Personenenkreisen die Blutgruppenmerkmale registriert sind. Bei Soldaten zum Beispiel, aber auch bei bestimmten Berufsgruppen weiß ich, dass solche Merkmale vorhanden sind.
Und was natürlich noch genutzt werden kann, ist das Gebiss. Auch bei hochgradig zerstörten Brandleichen ist das Gebiss noch vorhanden. Die Zähne sind relativ geschützt und in der Regel noch gut erhalten. Dazu kommt, dass in den Vereinigten Staaten zum Teil die Zahnprothesen Nummern tragen, anhand derer man die Betreffenden identifizieren kann. Das ist eine Möglichkeit, von der man auch in Deutschland Gebrauch machen wollte, aber bisher ist das noch nicht umgesetzt worden.
Wird es aber nicht auch immer Fälle geben,wo Gerichtmediziner hilflos sind?
Wir haben eine ganze Palette an Identifizierungsmerkmalen, von der Körpergröße, dem Gewicht bis hin zu Narben und Tätowierungen. Und die bereits genannten. Aber es werden bei Ereignissen mit solchen Ausmaßen immer Reste übrig bleiben, also Gewebe- oder Knochenteile, die man nicht identifizieren kann.
Sie müssen sich vorstellen, bei Temperaturen so um 900 bis 1.000 Grad – das sind Temperaturen, die auch im Krematorium erzeugt werden, um Leichen einzuäschern – da bleibt nur die Knochenasche übrig. Da gibt es auch keine DNA mehr, die man untersuchen kann.
In New York wird mit bis zu zehntausend Opfern gerechnet. Ist denn bei dieser Größenordnung eine umfassende Identifizierung noch leistbar?
Denken Sie an das Bergbahnunglück in Österreich, da gab es 155 Tote, verbrannte oder teilverbrannte Leichen: Das ging sehr schnell. Innerhalb von wenigen Tagen haben meine Kollegen in Innsbruck alle Leichen identifizieren können. Aber bei zehntausend? Das ist ein Riesenproblem.
Gibt es für solche Katastrophen Überlegungen, dass man angesichts der Riesenaufgabe kapituliert und nicht alle Opfer identfiziert?
Wir haben hier in Berlin einen Katastrophenplan und sind auf etwa fünfhundert Leichen eingerichtet. Das ist so in etwa die Größenordnung. Aber Sie sprechen von Tausenden oder Zehntausenden. Ich weiß nicht, wie man das packen sollte. Da bin ich sehr skeptisch. Ich weiß nicht, wie man das logistisch schaffen könnte.
Das heißt, viele Menschen werden nie eine endgültige Antwort bekommen, was mit ihren Angehörigen geschehen ist?
Davon muss vermutlich ausgegangen werden. Das Problem ist hier nicht die Technik, die den Gerichtsmedizinern zur Verfügung steht. Es ist vielmehr die große Zahl an Opfern, an der eine vollständige Identifizierung scheitern wird.
INTERVIEW: WOLFGANG LÖHR
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