Beten unter Aufsicht

Auch die islamische Gruppe Milli Görüs betete am Freitag für die Opfer des Terrors in den USA. Doch nicht alle reden so, wie es ihnen vorgebetet wird

von CEM SEY

Viele Muslime folgten dem Aufruf des Zentralrats der Muslime, des Islamrats und der Türkisch-Islamischen Union, beim Freitagsgebet für die Opfer des Terrors in den USA zu beten. Auch die stärkste türkisch-islamische Gruppe Milli Görüs rief dazu auf, für alle Opfer zu beten. Die Mevlana-Moschee in Kreuzberg stand dabei im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.

Die Verantwortlichen der zu Milli Görüs zählenden Moschee demonstrierten zunächst Gelassenheit. „Business as usual“ sollte es sein. Doch je größer der Andrang der Medien wurde, desto nervöser reagierte man. Journalisten wurden gebeten, in und vor der Moschee keine Interviews zu führen. „Dies ist ein Gotteshaus. Jeder kann hierher kommen. Aber jeder hat eine andere Meinung. Deshalb sollten Sie mit unserem Vorsitzenden sprechen“, sagte ein Mann, der Gespräche vor der Tür zu verhindern versuchte.

„Wir raten unseren Gläubigen zur Vorsicht und keine unkontrollierten Kommentare abzugeben“, sagte ein Verantwortlicher, „da bestimmte Kreise diese Aussagen zu missbrauchen versuchen. Trotzdem kann es vorkommen, dass einige solche Aussagen machen. Diese sollten nicht allen Muslimen in die Schuhe geschoben werden.“

Die Ängste der Verantwortlichen sind verständlich. Denn Milli Görüs wird vom Verfassungschutz beobachtet und steht unter Verdacht, „extremistische Positionen zu vertreten“. Auch das gerichtlich erkämpfte Recht auf Islam-Unterricht in Berliner Schulen steht wieder auf dem Spiel. Tatsächlich äußerten sich mehrere Gläubige auch anders als der Imam. „Dieses Attentat richtet sich gegen den größten Terroristen der Welt, gegen die USA. Natürlich suchen sie jetzt nach Schuldigen“, meinte ein junger Mann und warf den USA vor, den Dritten Weltkrieg vorzubereiten.

Ein anderer bezeichnete die Attentate als „eine traurige Tragödie“, aber hielt dem Westen vor, alle Muslime in eine Schublade zu stecken. „Das bedeutet doch, dass wir auch Terroristen seien. Warum suchen sie die Schuldigen unter uns. Die Amerikaner haben so viele Feinde auf der Welt.“ Ein weiterer Besucher gab die Schuld allein dem Westen: „Diese Terroristen haben früher für die CIA, für Deutschland oder für England gearbeitet. Jetzt sind sie außer Kontrolle und bekämpfen die USA.“

In den Gesprächen unter den Moscheebesuchern sind Verschwörungstheorien beliebt. Einige glauben sogar, dass die USA die Attentate selber geplant und mit Unterstützung des israelischen Geheimdienstes durchgeführt hätten, um später die islamischen Länder überfallen zu können. Der Imam der Moschee, Yakup Tasci, war nicht so direkt. Aber auch er meinte, in seiner Predigt ein politisches Zeichen geben zu müssen. „Nach islamischem Glauben gibt es nur drei Wege, mit denen Schuld festgestellt werden kann. Durch Geständnis, durch Zeugen oder durch Beweisführung“, sagt er und fügt hinzu, „das gilt für Terroristen, aber auch für die USA.“

Tasci hob in seiner Predigt den Widerspruch zwischen Koran und Terrorismus hervor. „Terror ist das schlimmste Vergehen gegen die Menschheit“, rief er den Menschen zu, die den Gebetssaal bis zur letzten Ecke füllten: „Wir rufen alle zur Gnade auf, die uns diese Tat vorhalten und den Islam und alle Muslime beschuldigen, obwohl es noch keine konkreten Erkenntnisse über die Täter gibt.“

Dann aber stellte er fest, dass die Täter keine Muslime waren, denn „wer eine solche Tat begeht, kann kein Muslim sein.“ Dies ist nicht alleine die Haltung des Imams. Fast alle Gläubigen legen eine Logik an den Tag, der schwer zu folgen ist. „Im Koran ist es verboten, unschuldige Menschen zu töten. Die Opfer in der USA waren unschuldig. Die Täter haben sich also gegen die Vorschriften im Koran verhalten und können deshalb keine Muslime gewesen sein.“ So erklärte etwa ein Besucher der Ayasofya-Moschee in Wedding seine Interpretation und begründete so seine Wut gegenüber den USA: „Trotz dieses Beweises wollen sie jetzt islamische Länder überfallen. Das würde zu einem Weltkrieg führen.“

Mit solchen gemischten Gefühlen verfolgten die Gläubigen die Predigt des Imams, der sie am Ende aufrief, „nun für alle Opfer des Attentates zu beten. Auch für die Täter, die diesen Weg besser nicht gehen sollten.“