strafplanet erde: permanente programmänderung von DIETRICH ZUR NEDDEN:
Erst vor zwei Jahren, sagt der Mann mir gegenüber, habe er „ganz oben“ auf der Aussichtsplattform des World Trade Centers gestanden. Er sagt es erleichtert, als ob er denkbar knapp dem Tod in New York entronnen wäre.
Nord 3 sendet am Abend des 11. September „Ein Köder für die Bestie“, DSF einen Trailer „Was wäre die Welt ohne Formel 1?“. Später verkauft „Home Shopping Europe“ die Universal Saftpresse, mit der man, sagt die Moderatorin, „auch mal den exotischen Schritt wagen“ könne: „Die Türken, die Ausländer haben diese Früchte.“
Ein Selbstmordattentäter, den Spiegel-TV interviewen kann, weil das von ihm geplante Attentat misslang, antwortet auf die Frage, ob er, der ein Fußballfan sei, einen Anschlag auf ein Fußballstadion verüben könne: Nein, trotz der Juden und Zionisten darin.
„Um besser einzuschlafen“, wie die windelweiche Ausrede von Gewohnheitstrinkern lautet, gieße ich mir einen Schuss Whiskey ein und denke im selben Augenblick: „Wenn’s nach den Taliban ginge, wäre das nicht mehr drin. Höchstens als Warlord kann man sich das heimlich leisten.“ Antiamerikanismus, lese ich neulich, sei die vornehme (oder charmante?) Form des Antisemitismus. Hab’ ich erst nicht verstanden. Es stimmt aber insofern, als ein paar Reaktionen auf das monströse Verbrechen jener Psychopathen nach dem Muster gebildet sind: „Haben die Amerikaner doch selbst Schuld.“ Wie bitte? „Die Amerikaner“? Man muss Disneyland ja nicht für eine hochkulturelle Errungenschaft halten, um trotzdem zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden. Übrigens waren, sagt das Radio, Menschen aus 62 Nationen unter den Opfern. Entsetzt und ratlos muss man ja auf der anderen Seite nicht gleich einen Ratlosigkeitsdemonstrationsgottesdienst besuchen. „Ob hier nicht irgendwas in die ganz falsche Richtung läuft?“, schreibt mir ein Freund. „Und läuft und läuft und läuft?“ Anything goes (Paul Feyerabend), und das eben nicht mehr nur in den Geisteswissenschaften.
In der Zeit vom 13. September (Seite eins ff.: „Das amerikanische Inferno“) wird der künftige VW-Chef Pischetsrieder interviewt: „Luxus ist ein Selbstläufer“. Die Einleitung verspricht eine Antwort auf die Frage, warum er „auf superteure Autos setzt und außerdem mehr Spaßmobile bauen will“. Jemand erzählt, der wieder hervorgekramte Scholl-Latour habe im Fernsehen nun das „Ende der Spaßgesellschaft“ verkündet.
Im Programmheft zu Kleists „Hermannsschlacht“ wird Carl Schmitts Aufsatz „Theorie des Partisanen“ abgedruckt. Darin der Satz: „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.“ Als ich studierte, durfte man Carl Schmitt gar nicht lesen, weil „Faschist“ oder „faschistoid“ oder so ähnlich. Anschließend auf sechs Seiten ein Dossier des US Departement of State: „Patterns of Global Terrorism 2000“: 79 Organisationen sind verzeichnet.
Am 25. September, heißt es auf der Homepage, gehe die „Harald Schmidt Show“ wieder auf Sendung. Aber die galt ja längst als Beispiel für Postcomedy. Kann ja heiter werden.
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