: New Yorks schwerer Schulstart
Eine Woche nach dem verheerenden Anschlag auf des World Trade Center öffnen die Schulen New Yorks wieder. Lehrer, Schulpsychologen und Eltern versuchen den kleinen Augenzeugen der Tragödie zu helfen. Die Kinder sollen verstehen – und möglichst aktiv das Trauma der Zerstörung überwinden
aus New York DAVID SCHRAVEN
Derek West erinnert sich, wie das Unglück geschah. „Ich habe Papiere verteilt. Plötzlich fangen die Kinder an zu schreien.“ West ist Lehrer an der Public School (PS) 145, einer öffentlichen Schule im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Seine Schüler sahen die Türme brennen. Schließlich brachen die Gebäude zusammen und eine grausame weiße Wolke trieb über den East River und ließ die Fenster der Schule erblinden.
Die Schule PS 145 ist ein heller Backsteinbau mit großen Fenstern in Brooklyn, vom südlichen Manhattan nur durch den East River getrennt. Die meisten Fenster gehen auf den Fluss. Dahinter erstreckt sich die Skyline Manhattans. Eine schmale Rauchsäule erhebt sich über den Trümmern des World Trade Centers und verliert sich jenseits der Freiheitsstatue. Die PS 145 hat vorgestern, eine Woche nach dem verheerenden Anschlag, wieder den Unterricht aufgenommen. Die Eltern können ihre Kinder in der Wahlschule gegen eine Gebühr einschulen. Sie hat einen besseren Ruf als andere öffentliche Schulen, obwohl auch sie von der Stadt geleitet wird.
„Viele Eltern aus dem Finanzdistrikt haben ihre Kinder hier eingeschult“, sagt West. Als das Unglück geschah, hat West versucht, die Kinder gemeinsam mit seinen Kollegen zu beruhigen. „Die Kinder haben geweint. Nach Stunden kamen die ersten Eltern, um ihre Söhne und Töchter zu holen. Sie waren mit Staub bedeckt.“ Die Luft stank nach Brand. Papiere aus den zerstörten Firmenarchiven regneten auf den Straßen der Umgebung nieder.
Der erste Schock ist nach sechs Tagen überwunden. Nun geht es darum, die Kinder vor bleibenden Schäden zu bewahren. Der Psychologe Philip Bialer vom Beth Israel Hospital in Manhattan sagt: „Die Kinder müssen wie Erwachsene behandelt werden. Sie wissen, dass etwas schlimmes geschehen ist. Eltern und Lehrer müssen so ehrlich sein wie möglich. Sie müssen auf die Fragen der Kinder anworten.“ Nur so könne man das Vertrauen der Kinder erhalten.
West hat seine Klasse mit einem Gesprächskreis begonnen. Die Kinder sollen erzählen, was sie erlebt haben. Die achtjährige Sarah beginnt zu stottern. „Ich habe gesehen, wie das Flugzeug in den Turm geflogen ist. Dann hat der Turm gebrannt.“ Sie flattert mit ihren Armen. David rutscht auf seinem Stuhl hin und her. „Dann kam die weiße Wolke. Es hat so schlimm gestunken.“
Der Psychologe Kerry Sulkowicz aus Manhattan erklärt, dass die größte Hilfe für die traumatisierten Schüler nicht von den Lehrern kommen könne. „Die Eltern müssen sich intensiv mit ihren Kindern beschäftigen. Sie müssen mit ihnen die normale Familienaktivitäten weiterführen. Ihnen zeigen: Das Leben geht weiter.“ Sulkowicz empfiehlt, gemeinsam essen zu gehen oder sich einen Film anzusehen. Der stellvertretende Direktor des Eltern-Kinder-Zentrums der New Yorker Psychoanalytischen Gesellschaft, Leon Hoffman, rät, in Parks zu gehen. „Pflanzen und Tiere sind etwas Großartiges. Sie zeigen den Kindern, dass selbst wenn Gebäude zerstört werden, die Natur in ihrer ganzen Pracht nicht zerstört werden kann.“
In allen Schulen der Millionenmetropole arbeiten Psychologen und Sozialarbeiter, die traumatisierten Kindern helfen sollen. Daryl Corsorey ist einer von ihnen. Er arbeitet an der PS 3 in der Hudson Street in Manhattan. Er ist mit seinen Schülern in eine der Unterkünfte gegangen, wo sich die Hilfskräfte ausruhen. Die Kinder helfen, Notbetten zu bereiten. „Die Kinder sollen verstehen, dass sie nicht ohnmächtig sind. Sie sollen sehen, dass auch sie etwas tun können“, sagt Corsorey.
Paul, 13, schüttelt ein Kissen auf. „Die Männer sind sehr freundlich zu uns.“ Er hat ein weißes T-Shirt an und trägt eine kurze Hose. „Wir geben ihnen etwas zu trinken und zu essen.“ Sein Freund Pete ordnet Duschgelflaschen auf einem Klapptisch. „Die Männer sind so müde. Die schlafen sofort ein.“ Sie wissen, dass etwas Fürchterliches passiert ist. Aber sie haben keine Angst. „Wir sind Amerikaner. Wir werden uns wehren. Die Terroristen können uns nichts anhaben.“ Sie schauen sich um. Spielen mit ihren Fingern. Schließlich rennen sie durch den Flur weg nach draußen auf den Spielplatz hinter der Turnhalle.
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