: „Sündenbabel der Weltfinanz“
Eine Diskussion der Rosa-Luxemburg-Stiftung suchte nach globalen Ursachen des globalen Terrors – selbst in Hollywood
von ANDREAS SPANNBAUER
Von Karl Marx stammt der Satz, dass das Jenseits dort Konjunktur bekomme, wo das Diesseits unerträglich werde. An einer historisch-materialistischen Erklärung der globalen Ursachen des globalen Terrors versuchte sich am Dienstagabend auch eine Veranstaltung der PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Gelungen ist dies nur begrenzt.
Werner Ruf, Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Kassel, machte zu Beginn „die extrem ungerechte internationale Wirtschaftsordnung“ und die „Ausplünderung des Südens“ für das Erstarken des islamistischen Terrorismus verantwortlich. In der Folge sollte diese Behauptung zwar in verschiedenen Variationen wiederholt, jedoch nicht weiter begründet werden. Nur ein kleiner Schritt war es dann, von der Kritik an der wirtschaftlichen und militärischen Dominanz der Vereinigten Staaten zu der Bezeichnung „Sündenbabel der Weltfinanz“ für das World Trade Center zu kommen, während in New York noch die Leichenteile aus den Trümmern desselbigen gezogen werden. Bei dem Attentat, so Ruf, handele es sich nicht um einen Angriff auf die Zivilisation, sondern um einen gezielten Schlag gegen die USA. In den Reaktionen auf den Anschlag werde dagegen ein gesamter Kulturkreis verteufelt und die „Verteidigung der Zivilisation gegen die Untermenschen“ ausgerufen.
Eine militärische Antwort der USA lehnte Ruf daher strikt ab. Erstens könne es sich der Rechtsstaat nicht leisten, „mit gegenterroristischen Aktionen zu antworten“, zweitens würden die Attentäter auf eine unzivilisierte Erwiderung des Westens spekulieren, um eine Solidarisierung der islamischen Welt zu erzielen, drittens kalkuliere die militärische Strategie des Westens mit einer politischen Stabilität der Nachbarstaaten, die nicht existiere. „Ich befürchte einen Flächenbrand in der arabischen Welt.“
Ähnlich äußerte sich auch der PDS-Europaabgeordnete André Brie. Äußerst fragwürdig sei es, ob ein Militärschlag der USA die Drahtzieher des Terrors treffe. Selbst wenn dies gegeben sei, werde ein solcher zu kurz greifen, wenn soziale Probleme als Ursachen des erstarkenden Fundamentalismus nicht bekämpft würden. Ein Verzicht Europas auf zivile Lösungsstrategien werde außerdem zu einer Militarisierung der Weltpolitik und damit zu einer noch stärkeren Vorherrschaft der USA führen.
Ursache der zunehmenden Gewalt war für Brie aber auch die „kulturelle Demütigung vieler Völker durch die USA“. Brie sprach in diesem Zusammenhang von „Coca-Cola-Imperialismus“ und davon, dass der internationale Kulturaustausch zu 90 Prozent aus Hollywood-Inszenierungen bestehe. Der Terror habe „viele Ursachen in der Politik der USA“. Für die „reaktionäre Antwort auf den Kapitalismus“, die der islamische Fundamentalismus ähnlich dem Faschismus darstelle, dürfe es allerdings kein Verständnis geben.
Das allerdings hatte so mancher im Publikum, vielleicht nicht ohne Grund, nicht ganz verstanden. Verschwörungtheorien über die – derzeitige – „funktionale Nützlichkeit“ des alles andere als notleidenden Terroristen Ussama Bin Laden für die USA machten die Runde, auch die obligatorischen Hinweise auf Hiroschima, Vietnam und Palästina durften nicht fehlen. Weshalb sich Brie noch einmal zu der Klarstellung genötigt sah: „Nicht nur der Kapitalismus der USA, sondern auch der Terrorismus ist unser Feind.“
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