piwik no script img

in fußballlandCHRISTOPH BIERMANN über Populationsdynamik

Endzeit auf dem Sofa

Am ersten Spieltag während dem, was wir Krieg zu nennen lernen sollen, lag ich mit Jogginghose, Wolljacke und Schal wie ein Dauercamper ausstaffiert auf dem Sofa, schaute Fußball und dachte darüber nach, wie es zu Ende gehen könnte. Mit dem Fußball wohlgemerkt, nicht mit der Welt. Was möglicherweise mehr mit der Weinerlichkeit von Männern zu tun hatte, die krank sind, und sei es nur eine Grippe mit etwas Kratzen im Hals, leichtem Fieber und allgemeiner Mattigkeit, als mit den Bildern von explodierenden Flugzeugen, apokalyptischem Ascheregen und dem Kriegsgeheul aus dem Fernseher.

Der Gedanke war mir das erste Mal bereits eine Woche zuvor gekommen, als ich mich gut eineinviertel Stunden lang durch den Berufsverkehr gekämpft hatte, um noch pünktlich zu einem Interview mit dem Fußballtrainer Dragoslav Stepanovic zu kommen, den dieser aber vergessen hatte und mir auf Nachfrage der Geschäftsstelle ausrichten ließ, ich solle am nächsten Tag wiederkommen. Ich ließ ihm ausrichten, dass er mich am Arsch lecken könne, und fuhr wieder nach Hause. Was wiederum nahe legt, dass die Saat meiner kleinen Fußball-Apokalypse eher persönlichem Ärger als nostradamusschen Endzeitvisionen entsprang.

Sie ging jedoch auf, als ich am 11. September auf dem Weg in die Arena AufSchalke war und mir mit jeder Minute Berichterstattung aus dem Autoradio weniger vorstellen konnte, dass keine fünf Stunden nach Beginn der Terrorwelle in den USA wirklich ein Spiel in der Champions League ausgetragen würde. Ich konnte es mir nicht einmal vorstellen, als die Mannschaften auf den Platz liefen. Bis zum Abpfiff und weit darüber hinaus blieb das Ereignis surreal, woran auch die Betrunkenen in der VIP-Zone weit nach Mitternacht nichts mehr ändern konnten, deren Wille zum Spaß offensichtlich unerschütterlich war. Die Entscheidung, die Spiele nicht abzusagen, wurde hinterher einhellig verrissen, wobei mir ein Aspekt dieser Fehlentscheidung erst weit später klar wurde. Wäre nicht gespielt worden, hätte das als ein Zeichen des Verzichts auf Spaß und Vergnügen in schweren Zeiten gegolten. Aber dadurch, das gespielt wurde, war die Möglichkeit verflogen, hier Spaß und Vergnügen zu finden.

Ein anschauliches Szenario, wie es aussehen könnte, wenn es keinen Fußball mehr gäbe, konnte ich in der Folge zunächst nicht entwickeln, außer solch belanglosen Bildern wie jenen von der Archäologie ausgeliehenen Szenarien überwachsener Stadionruinen. Ich hätte auch besser nicht das Interview mit dem Geologen, Ornithologen und Naturwissenschaftler Uwe George lesen sollen, in dem er den Unterschied zwischen Kulturisten und Naturisten zu machen versucht. George negiert zwar nicht, dass es kulturelle Entwicklungen gibt – und so etwas wie Fußball gehört zweifellos dazu –, hält jedoch die populäre humanistische Vorstellung für naiv, die Dinge entscheidend zum Positiven beeinflussen zu können.

Das nun wieder ging mir zu weit, inklusive seiner Einlassung, dass für ihn das Ende der Menschheit keine Apokalypse wäre, sondern eine normale populationsdynamische Angelegenheit. Es würde demnach auf dieser Welt schlichtweg auch ohne uns weitergehen. Dieser in meinem Zustand schwer verdauliche Gedanken-Cocktail rumorte in meinem auf dem samstäglichen Fußballsofa gebetteten Kopf herum, während sich die Spieler von Schalke und Dortmund am ersten Kriegsspieltag der Bundesliga mit großem Eifer gegenseitig die Ellenbogen vor die Schädel hauten. Wahrscheinlich für den Frieden.

Fußball, brauchen wir eigentlich gar nicht, dachte ich auf meinem Campinglager. Das war es wohl, was den Fußball beenden würde: Die schlichte Einsicht, dass man ihn nicht mehr braucht. Einfach so, überflüssig geworden. Spaß und Vergnügen vorbei. Schluss. Aus. Hätte die überwältigende Mehrheit der Fußballfreunde den gleichen Gedanken, müsste ich mich wohl umschulen lassen. Wie lange dauert wohl ein Studium der Geologie, fragte ich mich. Oder der Vogelkunde. Und ging dann besser mal schlafen.

Fotohinweis: Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen