piwik no script img

Moskau kann diesmal nicht verlieren

Putin ist in einer beneidenswerten Position: Kooperation in der Anti-Terror-Koalition der USA wird strategische Zugeständnisse einbringen

BERLIN taz ■ Berlin gefällt sich derzeit in der Rolle als privilegierter Mittler zwischen der EU und Russland. Nie war die Möglichkeit so greifbar, Moskau mit ins Boot zu holen. Bisher zögerte der Kreml. Als Großmacht wollte Russland nicht einfach nur mitfahren. Daran wird sich auch nach den Ereignissen in den USA nichts ändern. Es könnte aber mit dem eigenen Dampfer selbstbewusst in die gleiche Richtung steuern.

Dafür stehen die Aussichten recht gut. Am Vorabend des Deutschland-Besuchs hatte der Kremlchef dem Westen schon weitreichende Zugeständnisse signalisiert. Im russischen Fernsehen bot Putin den USA die Nutzung ehemaliger sowjetischer Militärbasen in den zentralasiatischen Staaten Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan an, die mit Afghanistan eine gemeinsame Grenze haben. Der Kreml deutete ebenfalls an, den Gegnern der Taliban, der oppositionellen Nordallianz in Afghanistan, größere Waffenlieferungen zur Verfügung zu stellen.

Auch der russische Geheimdienst FSB zeigt seit den Tagen des Anschlags eine ungekannte Kooperationsbereitschaft. Laut amerikanischen Quellen bombardieren russische Aufklärer ihre westlichen Kollegen regelrecht mit Informationen über Aktivitäten der – nach russischer Lesart – islamistischen Fundamentalisten.

Einen Einsatz russischer Truppen lehnt der Kreml nach wie vor ab. Erst 1989, nach zehn Jahren Krieg, waren sowjetische Verbände unverrichteter Dinge aus Afghanistan abgezogen. Die russische Öffentlichkeit hat Schmach und Trauma, die dieser Feldzug in der Gesellschaft hinterlassen hat, noch immer nicht verwunden. Selbst der in der Bevölkerung unverändert populäre Wladimir Putin muss dies einkalkulieren.

Grundsätzlich unterstützt aber die russische Öffentlichkeit eine enge Kooperation mit dem Westen. Die erstaunlichen proamerikanischen Reaktionen seit dem Anschlag veranlassten sogar den flexiblen Polittechnologen und engen Berater des Präsidenten, Gleb Pawlowski, von einem „neuen politischen Faktor“ zu sprechen, der berücksichtigt werden müsse.

Das steht offensichtlich unmittelbar bevor. Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR befindet sich Russland erstmals in einer beneidenswerten Position. Wie sich der Konflikt auch immer entwickelt, Moskau wird diesmal nicht ins Hintertreffen geraten, es kann nicht verlieren.

Bereits in Berlin dürfte sich zeigen, dass der russische Feldzug in Tschetschenien – über ein Lippenbekenntnis hinaus – die Beziehungen zu Russland nicht mehr belasten wird. Moskaus Darstellung des Feldzuges als eine antiterroristische Maßnahme wird sich langsam durchsetzen. Die Militärs im Kaukasus werden das zu nutzen wissen und mit noch größerer Gewalt gegen die Zivilbevölkerung vorgehen. Damit schwinden die Hoffnungen auf einen Frieden.

Es mag zynisch klingen: Dennoch birgt die Kooperation mit Russland auch eine Chance. Der Westen und Russland kommen sich näher. Langfristig wirkt sich das auf die russische Politik bändigend aus und schraubt Moskauer Ängste vor einer erneuten Isolation herunter. Am Ende könnte das eintreffen, wovon man in Moskau seit langem perspektivisch träumt: eine Reorganisation der internationalen Sicherheitsstrukturen – weltweit und im europäischen Maßstab – an denen Russland angemessen beteiligt ist.

Putins Zugeständisse an die Amerikaner in Zentralasien deuten darauf hin, dass sich der Kreml zurzeit darum bemüht, in die Rolle des „senior junior partner“ der USA zu schlüpfen. Natürlich spekuliert der Kreml noch auf mehr. Da wäre die geplante Osterweiterung der Nato im Baltikum, die Moskau auf jeden Fall verhindern will. Und warum sollte der Kreml nach einem Eingriff der USA in Afghanistan nicht auch Georgien unter Druck setzen und eigene Kommandos in die georgischen Schluchten schicken dürfen? Dort tummeln sich tschetschenische Freischärler und sichern den Nachschub.

In der Wortwahl sind sich Wladimir Putin und George Bush ohnehin schon sehr nahe gekommen. Putin versprach zu Beginn des Kaukasuskrieges, den Gegner „auch auf dem Klo zu vernichten“, Bush will ihn „in den Berghöhlen ausräuchern“. Noch bleibt abzuwarten, wieweit Moskau seinen Worten Taten folgen lässt.

Anscheinend ist es dem Kremlchef aber gelungen, den Widerstand der militärischen Elite gegen eine Kooperation mit den USA zu brechen. Die Militärs hatten befürchtet, der Einsatz amerikanischer Verbände in Zentralasien würde Russland endgültig aus seinem angestammten Einflussgebiet vertreiben.

Eine begründete Furcht. In eiliger Mission schickte der Kreml letzte Woche den Chef des Sicherheitsrates Wladimir Ruschailo und Generalstabschef Anatoli Kwaschnin in die mittelasiatischen Staaten. Kwaschnin lehnte eine Zusammenarbeit mit den USA vor zwei Wochen noch entschieden ab. Putin setzte sich über die Bedenken seiner Militärs hinweg.

Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums endet nun die Post-cold-war-Ära. Pfründen und Verantwortungssphären könnten neu verteilt werden. Wer da nicht mit am Tisch sitzt, wird auch nicht bedacht. Und sollte es ein Zufall sein, dass die instabilen Regionen vornehmlich zur früheren Einflusssphäre der Sowjetunion gehörten, die dort nach ihrem Abzug ein Vakuum hinterließ?

KLAUS-HELGE DONATH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen