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Knotenpunkt Hamburg

Bei der Vorbereitung der Terroranschläge soll Mohammed Atta eine Schlüsselrolle gespielt haben

von PASCAL BEUCKER

Mohammed al-Amir Awwad al-Sayyed Atta ist noch immer von der Unschuld seines Sohnes überzeugt. „Mein Sohn war nicht an Bord des Flugzeuges.“ Der Kairoer Rechtsanwalt will nicht glauben, dass sein Sohn Mohammed mit den Terroranschlägen in den USA etwas zu tun hat. Schließlich, erregte sich der 65-Jährige vor ägyptischen und ausländischen Journalisten, sei dieser „zuvorkommender, liebenswürdiger und höflicher als Sie und ich zusammen“. Hinter den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon, glaubt der Vater, könne nur der israelische Geheimdienst Mossad stecken. Doch was weiß er von seinem Sohn?

Für das FBI ist Mohammed Atta junior der „ringleader“ – die Schlüsselfigur bei den Anschlägen. Bei dem 33-Jährigen, der das erste Flugzeug ins World Trade Center gesteuert haben soll, seien die Fäden zusammengelaufen. Doch die Spuren, die Atta in der Bundesrepublik hinterlassen hat, sind verwirrend. Das Haus in der Marienstraße, in dem sich Atta zusammen mit dem ebenfalls Tatverdächtigen Marwan al-Shehhi sowie dem untergetauchten Said Bahaji zeitweise eingemietet hatte, hat der Hamburger Verfassungsschutz „über einen längeren Zeitraum“ observiert. Doch die zunächst als „verdächtig“ eingestuften Personen, unter ihnen auch der dritte mutmaßliche Todespilot Ziad Jarrah, hätten sich „völlig unauffällig verhalten“, so ein Verfassungsschützer gegenüber der Zeit.

Auch CIA-Agenten sollen Atta zwischen Januar und Mai vergangenen Jahres nach bisher unbestätigten Meldungen beschattet haben – ohne Wissen deutscher Behörden. In dieser Zeit soll sich Atta in Drogerien und Apotheken im Frankfurter Raum größere Mengen an Chemikalien gekauft haben, die auch zur Herstellung von Sprengstoff benutzt werden können. Merkwürdig ist jedoch, dass die US-Botschaft in Berlin dem Ägypter im Mai 2000 dennoch anstandslos ein Visum ausgestellt hat.

Der mögliche Aufenthalt Attas in Frankfurt weist auf eine Verbindung zu einer im vergangenen Dezember aufgeflogenen islamistischen Gruppe. Diese soll einen Anschlag auf den Strassburger Weihnachtsmarkt geplant haben und in die internationalen Strukturen von Ussama Bin Laden und der algerischen „Bewaffneten Islamischen Gruppe“ GIA eingebunden sein. Dass eine solche Verbindung bestand, dafür spricht ein Bericht der ARD-Tagesthemen. Eine Zeugin will Marwan al-Shehhi, der an Bord des zweiten Todesjets gewesen sein soll, eindeutig wiedererkannt haben. Sie habe ihn mehrmals in unmittelbarer Nähe der Wohnung gesehen, in der die Polizei am zweiten Weihnachtsfeiertag die mutmaßlichen islamistischen Extremisten verhaftete. Die Bundesanwaltschaft wollte eine mögliche Verbindung der Selbstmordpiloten zu der Frankfurter Terrorgruppe gestern jedoch nicht bestätigen.

Eine weitere Spur im Fall Atta führt nach Kiel. Ein Sozialamtsmitarbeiter will den Ägypter Ende 1996 oder Anfang 1997 mehrfach in seiner Behörde gesehen haben. Der Mann habe einem Bekannten gedolmetscht. Laut Augenzeugen soll Atta zudem in Kiel mehrfach ein Postamt aufgesucht und dort Geldbeträge „entgegengenommen“ haben. Inzwischen hat das schleswig-holsteinische Landeskriminalamt eine Ermittlungsgruppe gebildet.

Als sicher gilt, dass Atta in Hamburg Kontakt zu Mamoun Darkazanli hatte. Dessen Import-Export-Company steht auf der Liste mutmaßlicher Organisationen mit terroristischen Kontakten, die US-Ermittler erstellt haben. Die amerikanischen Sicherheitsbehörden glauben, dass der Deutsche syrischer Herkunft ein enger Vertrauter Bin Ladens ist, und werfen ihm Beteiligung an einem Anschlag auf die saudische Nationalgarde in Riad 1996 vor.

Sicher ist, dass der Geschäftsmann in Hamburg ein Konto für den 1998 verhafteten mutmaßlichen früheren Finanzchef Bin Ladens, Mamdouh Mahmud Salim, eröffnete. Darkazanli wurde in der vergangenen Woche von der Hamburger Polizei vernommen und seine Wohnung durchsucht, eine Festnahme erfolgte jedoch nicht. Er selbst spricht von einem „großen Missverständnis“. Unklar ist, wie eng Darkazanlis Verbindung zu der Gruppe um Atta war. Nach seinen Angaben habe er diese nur „vom Sehen“ aus der islamischen Gemeinde gekannt.

Unklar sind nach wie vor Attas Aktivitäten nach dem Verlassen der Bundesrepublik. So soll sich der mutmaßliche Selbstmordpilot nach spanischen Medienberichten im Juli in einem Hotel nahe Barcelona mit islamischen Extremisten getroffen haben. Ein Vertreter der US-Regierung in Washington berichtete zudem von Hinweisen, dass sich Atta in einem europäischen Land mit einem Mitarbeiter des irakischen Geheimdienstes getroffen habe. Es sei allerdings nicht sicher, ob das Treffen im Zusammenhang mit den Anschlägen stehe.

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