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wie sich mein leben veränderte

von WIGLAF DROSTE

Der 11. September 2001 hat mein Leben verändert. Nicht nur weil alle das schreiben und im Fernsehn sagen, bis sie es sich vielleicht sogar selber glauben, nein, bei mir ist es wirklich so. Oft liege ich auf dem Himmelbett und höre der Grille im Hinterhof beim Zirpen zu. Sicher, das zählte auch vor dem 11. September zu meinen Lieblingstätigkeiten, aber jetzt ist es doch anders: Der Gesang der Grille ist rarer geworden, kostbarer. Woran liegt das? Friert die Grille? Ist ihr kalt? In meinem Bettchen wäre noch etwas Platz für sie. Die Grille aber singt selten, weil ihr das Herz so schwer ist. Sie muss dauernd an New York denken, an erwachsene Menschen, die sich gegenseitig Kuscheltiere in die Arme drücken.

Der Mensch ist ein trostbedürftiges Wesen; auch ich bin das. Vor dem 11. September kam manchmal ein Pfauenauge durchs offene Fenster geflattert, setzte sich auf die obere linke Ecke meines Computerbildschirms, faltete die Flügel und sah mir beim Schreiben zu. Kaum wagte ich, die Finger auf der Tastatur zu bewegen; ich wollte das Pfauenauge nicht verscheuchen. Zehn Minuten blieb es, dann flog es davon – und kam die nächsten Tage wieder, um mein Herz zu entzücken. Jetzt ist das Pfauenauge fort und fehlt mir sehr. Ich bin sicher, die Ereignisse in Amerika haben dem zarten Wesen so zugesetzt wie mir.

Noch am Abend des 11. September ging ich in eine Bar, um mir die Übertragung des Fußballspiels Dynamo Kiew gegen Borussia Dortmund anzusehen. Seit ich im Oktober 1995 beim 3:1 gegen Bayern München in einem aufwändigen Initiationsritus als Glücksbuddha für Dortmund installiert wurde, hat mich eine süchtige, oft traurige Liebe zu diesem Verein ergriffen. Am 11. September 2001 hielt der Premiere-World-Kommentator aus Gründen, die er sich selbst wohl als Pietät verkaufte, seinen dummen Mund geschlossen. Das tat wohl, und alle Anhänger eines unzerquatschten Fußballspiels mussten sich eingestehen, dass sie dem Terrorismus einiges zu danken haben. Wie viel, zeigte sich schon acht Tage später, als Borussia Dortmund im Westfalenstadion antrat: Das so genannte Rahmenprogramm, ein anderes Wort für Horror in Menschengestalt, war ersatzlos gestrichen worden, und direkt vor dem Spiel war es im Stadion eine Minute lang erfreulich still. Der übliche Volksfest- und Schreihalszirkus entfiel; so sollte es immer sein. Von Terroristen lernen heißt Würde lernen.

Ich war ein anderer geworden, war sensibilisiert, und alles, was ich tat, schien im Dienste eines Größeren, Besseren zu stehen; mein Gesicht im Spiegel begrüßte ich schon mit „Hallo, Mahatma“. Doch dann wollten plötzlich alle „zur Normalität zurückkehren“, wie sie das nennen, wollten alle denselben Stinkstiefel machen wie früher. Warum? Ist irgendetwas aus dem Status ante wert, beibehalten zu werden? Der Kommentator des Spiels Boavista Porto gegen Borussia Dortmund, von dem ich mir nur den sehr passenden Vornamen Hansi merken möchte, wellensittichte geistverlassen wie ehedem. Die schöne Gelegenheit, blöder Normalität den Rücken zu kehren, sie wurde vertan.

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