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Forellen statt Piranhas

Seit Anfang des Jahres betreibt der BUND das Umweltzentrum Karlshöhe. Es soll Städtern ein Gefühl für Natur vermitteln  ■ Von Gernot Knödler

Auch wenn drumherum alles zugebaut ist: Wer die Einfahrt zum Umweltzentrum Karlshöhe benutzt, der hat den Eindruck, mitten auf dem Land zu sein. Der Blick durchs Laubdach zielt auf Zäune und Wiesen. Im herbstlichen Dunst dahinter stehen blass die Häuser der Ökosiedlung Bramwisch. Das Fahrrad hoppelt über drei Bremsschwellen und feuchtes Feldsteinpflaster. Öko hin oder her: Die Besucher- und MitarbeiterInnen des Umweltzentrums drücken offenbar ganz gern auf die Tube.

Mit Beginn diesen Jahres hat der Umweltverband BUND die Bewirtschaftung des ehemaligen Staatsgutes Karlshöhe in Farmsen übernommen. Die Umweltbehörde trägt bis auf weiteres die Betriebskosten von 85.000 Mark im Jahr, spart dafür aber drei Planstellen, die vom BUND und seinen HelferInnen ausgefüllt werden. Ihr Auftrag: „Natur in der Stadt erfahrbar machen“, wie es Geschäftsführer Dieter Ohnesorge formuliert.

Der Umweltpädagoge und Lehrer mit zwei Staatsexamina hält das für bitter nötig. „In Hamburg wächst eine Generation heran, die nicht nur selber von der Natur abgeschnitten ist, sondern auch deren Eltern“, sagt er. Bei gewässerkundlichen Ausflügen hätten ihn Kinder ernsthaft gefragt, ob da Krokodile oder Piranhas lebten. Wer die Natur nur aus dem Fernsehen kenne, dem seien solche Exoten eben vertrauter als Frösche und Forellen.

Ohnesorge hält die Entfremdung von der Natur auch für den Grund dafür, dass das Thema Umwelt so sehr an Stellenwert eingebüßt hat. „Das Mühlenberger Loch: Warum ist das denn kein Thema in Hamburg?“, fragt er. – Weil es keinen Bezug zum Umweltschutz geben könne ohne Bezug zur Natur. Eben den will Ohnesorge im Umweltzentrum herstellen.

Am besten klappt das wohl bei den Leuten, die sich – vermittelt über diverse Vereine – am Unterhalt des Umweltzentrums beteiligen. Denn das zehn Hektar große Gelände mit einem Gutshaus und ein paar Nebengebäuden muss gepflegt werden. Dem Hausmeister, den drei Zivis des BUND und die beiden FÖJlerInnen des Zentrums alleine wüchse die Arbeit schnell über den Kopf.

Freiwillige kümmern sich um den Bauerngarten unweit des Gutshauses ebenso wie um die Streuobstwiese nebenan. Der Garten hat in Buchsbaum eingefasste Beete von barockem Grundriss. Beinahe mannshohe Büsche von Sonnenhut, blassblaue Herbstastern, Kapuzinerkresse und knallorange Ringelblumen blühen hier.

Auf der Streuobstwiese stehen Bäume fast so hoch wie im Wald, ganz vorne ein mehr als zehn Meter hoher, schlanker Birnbaum. Wenn unsere Vorfahren Obst ernten wollten, mussten sie auf Leitern zunächst einmal an drei bis vier Metern kahler Stämme vorbei klettern, um an die Früchte zu kommen.

Weil die Bäume so hoch sind, fällt viel Licht auf den Boden, wo Gras und teilweise auch Stauden wachsen. Dazwischen tummeln sich prächtige weiß-schwarze Hühner mit ihrem Gockel. Dafür, dass nicht alles zuwuchert, sorgt die BUND-Bezirksgruppe Wandsbek.

Damit auch BesucherInnen die Natur erleben können, gibt es wenige Meter weiter einen Abenteuerzeltplatz. Wie Ronja Räubertochter können Kinder von hier aus ins Urwäldchen des Umweltzentrums ausschwärmen, zu den Rauwolligen Pommerschen Landschafen, den Ziegen und Hühnern pilgern aber auch zur Luftmess-Station und zum Solargarten. Dort erläutern UmweltpädagogInnen seit einem Jahr am realen Objekt, was eine Sonnenzelle von einem Sonnenkollektor unterscheidet und warum es mal wärmer, mal kälter ist in Europa.

Umweltschutz hat eben auch etwas mit angepasster Technik zu tun und so hat das Umweltzentrum zumindest beim Brauchwasser den Kreislauf geschlossen: Regenwasser wird aufgefangen, das Abwasser über eine Pflanzenkläranlage wieder ins Grundwasser geleitet. Die Anlage aus zwei bepflanzten Hügeln und einem Teich sei „die einzige mit Schwarzwasser“, sagt Ohnesorge stolz. In der geklärten Brühe schwimmen zwei Gänse.

Der BUND will die Angebote zum praktischen Umweltschutz ausbauen: Demnächst richtet Ohnesorge ein Grünes Telefon ein, einen Informations- und Beratungsservice insbesondere für Fragen des Gartenbaus. Denn auch Hobby-GärtnerInnen versprühen tonnenweise Pestizide.

Das ehrgeizigste Vorhaben des neuen Trägers von Karlshöhe ist der Ausbau des mehr als 600 Quadratmeter großen Stalls neben dem Gutshaus. Ohnesorge will hier „einen Naturkostladen mit angeschlossenem Bistro-Café“ einziehen lassen und außerdem noch einen großen Veranstaltungs- und Ausstellungsraum gewinnen.

Doch dafür braucht er eine Menge Geld. Weil die Umweltbehörde nur einen kleinen Teil der Grundsanierung bezahlen will, sucht der BUND SponsorInnen für 300.000 Mark. Ohnesorge hofft, dass der Umbau noch in diesem Jahr beginnen kann und der Umbau im kommenden Jahr beendet sein wird.

Einstweilen freuen sich die Viecher über die relative Ruhe auf dem Gelände. Die Koppeln liegen scheinbar verlassen unter einem verschlossenen Himmel. Direkt nebenan, keine drei Meter vom Reporter entfernt, hackt ein zierlicher Buntspecht mit spindelförmigem Leib auf den Pfosten eines Gatters ein. „Der hat Hunger“, meint Ohnesorge. Angst hat er jedenfalls keine. Beim Wegfliegen wechselt er in flachen Schwüngen rhythmisch die Höhe. Sehr schön!

Das Umweltzentrum bietet ein Seminarprogramm an, das sich mit dem einer Volkshochschule messen kann. BesucherInnen steht es jederzeit offen. AnsprechpartnerInnen stehen montags bis donnerstags von 9 bis 17, freitags von 9 bis 16 Uhr zur Verfügung. Das Zentrum liegt zwischen dem S-Bahnhof Wellingsbüttel und dem U-Bahnhof Farmsen an der Buslinie 167 und hat die Adresse: Karlshöhe 60d, 22175 Hamburg, Tel.: 60 03 86 20.

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