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Neues Legoland für Berliner Urbaniten

Zwischen Leipziger Straße, Spittelmarkt und Mühlendamm entsteht die nächste Berliner Großbaustelle. Ganz im Sinne des Planwerks Innenstadt wird der DDR-Städtebau in die zweite Reihe gerückt. Dabei wird bei der „Reurbanisierung“ des Quartiers wahllos in den Baukasten von Alt-Berlin gegriffen

Im Bezirk fürchtet man, dass die Hochhäuser zum Hinterhof werdenOffenbar macht der Wunsch nach Rialto auch vor Fälschungen nicht Halt

von UWE RADA

Die Gegner des modernen Städtebaus können sich die Hände reiben. Wenn am Montag die Pläne für das Stadtquartier von der Leipziger Straße über den Spittelmarkt bis zur Mühlendammbrücke ausgelegt werden, wird deutlich, dass in diesem Bereich nicht nur eine der größten Baustellen der nächsten Jahre entstehen wird. Mit dem 400 Millionen Mark teuren Umbau will Bausenator Peter Strieder (SPD) auch dem sozialistischen Städtebau wieder einen bürgerlichen Stempel aufdrücken. Schließlich gilt der Straßenzug Getraudenstraße den Freunden von Traufhöhe, Parzelle und Blockrandbebauung nach wie vor als „sibirische Schneise“. So hat es vor kurzem der Architekturkritiker Bernhard Schulz stellvertretend für viele seiner Kollegen ausgedrückt.

„Im heute nicht mehr wahrnehmbaren Straßenzug der Gertraudenstraße entsteht eine Folge unverwechselbarer Orte mit hoher Aufenthalts-, Nutzungs- und Gestaltungsqualität.“ Mit diesen Worten beschreibt der Bausenator die Umbaupläne nach dem städtebaulichen Entwurf der Architekten Georg Graetz, Marc Jordi und Tobias Nöfer. Fünf Jahre nach der Präsentation des Planwerks Innenstadt soll mit der „Reurbanisierung“ der Stadt, der Ausweisung neuer Baufelder auf Straßenland und Grünflächen sowie der Bebauung aus dem Baukasten der „Berlinischen Architektur“ Ernst gemacht werden. Aus der Stadtlandschaft der DDR-Moderne wird ein Legoland für neue Urbaniten, ganz im Sinne der Planwerksideologie „Vorwärts in die Vergangenheit“.

Als „Kampfansage an die bisherigen Vorstellungen von Stadt“ hat der Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm das von ihm vorgelegte Planwerk selbst bezeichnet. Die Stadtlandschaft der Fischerinsel, die Wohnhochhäuser an der Leipziger Straße und nicht zuletzt das expressive Ahornblatt mit seinem Raum verschwendenden Gestus waren Hoffmann-Axthelm schon lange ein Dorn im Auge. Aus seiner Sicht war es deshalb nur konsequent, die Blockbebauung in der Friedrichstadt über den Straßenzug der Leipziger und Gertraudenstraße in Richtung Molkenmarkt zu verlängern. Die Hinterlassenschaft des DDR-Städtebaus auf einer der wichtigsten Achsen der Hauptstadt wäre somit bis zur Unkenntlichkeit verstellt, die Privatisierung der Stadt auf ehemals enteignetem Grund und Boden vollendet. Modernen Städtebau und offene Stadträume würde man dann nur noch östlich des Alexanderplatzes finden. So lauteten die Hoffnungen von Dieter Hoffmann-Axthelm zur „Rückgewinnung des historischen Zentrums“.

„Die historischen Orte Spittelmarkt, Petriplatz, Cöllnisches Rathaus, Cöllnischer Fischmarkt und Mühlendammbrücke“, freut sich deshalb auch Peter Strieder, „werden wieder erlebbar und tragen zur Identitätsbildung bei.“ Doch was ist das für ein Erleben, von welcher Identität spricht der Bausenator? Ist die „Rückgewinnung“ nicht bloße Inszenierung, das neben dem Nikolaiviertel zweite Disneyland auf dem Boden von Alt-Berlin?

Gegenüber dem Novotel, das derzeit nach dem Entwurf von Gernot Nalbach anstelle des abgerissenen Ahornblatts entsteht, hat Tobias Nöfer den Entwurf für den Neubau des „Cöllnischen Rathauses“ vorgelegt. Doch mehr als den Namen wird das sechsgeschossige Kopfgebäude nördlich des ehemaligen Petriplatzes mit dem Vorgängerbau nicht gemeinsam haben: Vorgesehen ist eine Nutzung für Hotel und Büros.

Und auch der Rückgriff auf die städtische Identität, die es in Konkurrenz zu den vermeintlichen Zerstörungen durch die DDR-Planungen wiederzugewinnen gelte, ist im Falle des „Cöllnischen Rathauses“ ein bloßer Euphemismus. Nicht dem Bau der Fischerinsel und der Gertraudenstraße Anfang der Sechzigerjahre fiel das „Cöllnische Rathaus“ dereinst zum Opfer, sondern eine Straßenerweiterung am Ende des 19. Jahrhunderts.

Dreh- und Angelpunkt des städtebaulichen Entwurfs ist allerdings nicht die Neufassung des Petriplatzes, des Gründungsortes von Cölln am Wasser, sondern die städtebauliche Neugliederung des Spittelmarktes. Hierfür wird nicht nur die neue Gertraudenbrücke abgerissen und der Straßenzug über ein neues Brückenensemble nach Norden verschwenkt. Auch das „Ebbinghaus“-Gebäude auf der Südwestseite des Platzes wird abgetragen, so dass der Zug der Linden- und Axel-Springer-Straße wieder direkt auf den Spittelmarkt führt. Das Bekleidungshaus „Ebbinghaus“ selbst wird in eine Neubebauung auf der nördlichen Platzseite integriert. Vollendet wird die neue Platzgestaltung durch einen Wohn- und Geschäftsriegel entlang des Spreekanals sowie das „Hotel Leipziger Hof“ auf der westlichen Platzseite. Dieses Gebäude bildet zugleich eine Scharnierfunktion zwischen dem Spittelmarkt und dem Straßenzug der Leipziger Straße.

Den nordöstlichen Abschluss der Planungen bildet schließlich die Mühlendammbrücke. Vor lauter Sehnsucht nach einem romantischen Ort in Sichtweite des Alexanderplatzes hat Marc Jordi hier eine Neuinterpretation der ehemaligen Mühlendammkolonnaden vorgeschlagen. Offenbar macht der Wunsch nach einem Hauch von Rialto in Berlin auch vor den absurdesten Fälschungen nicht Halt.

Entsprechend harsch fällt auch die Kritik aus dem Bezirksamt Mitte aus. „Nichts gegen eine Neufassung des Spittelmarkts“, sagt die grüne Baustadträtin Dorothee Dubrau. „Doch der vorliegende Entwurf ist eine Katastrophe, städtebaulich wie architektonisch.“ Dubrau spricht von einer „Herabsetzung der vorhandenen Wohnbevölkerung“ und der „Verbannung der Fischerinselhochhäuser in den Hinterhof“. Diese Hochhäuser, so Dubrau, „sind eine einmalige Situation aus den Sechzigerjahren, ob man sie nun gut findet oder nicht. Da kann man nicht einfach in Richtung Gründerzeit herumfummeln.“

Die Kritik aus dem Bezirk wird freilich ohne Folgen bleiben. Noch vor der Festsetzung der Bebauungspläne im Bereich Gertraudenstraße und Spittelmarkt hat Bausenator Strieder das Verfahren an sich gezogen – wegen der angeblich „außergewöhnlichen stadtpolitischen Bedeutung“. Was dem Senator grünes Licht für seine Urbanisierungspläne gibt, ist für Baustadträtin Dubrau ein „skandalöser Vorgang“. Selbst bei so außerordentlichen Bauprojekten wie am Potsdamer und am Leipziger Platz habe es immer eine korrdinierende Bebauungsplanung zwischen Bezirk und Senat gegeben.

Die Planungshoheit des Senates ist allerdings noch lange nicht gleichbedeutend mit der Realisierung der Entwürfe. „Bislang haben sich noch keine Investoren bei uns gemeldet“, räumt Philipp Mühlberg, der Leiter des Büros von Peter Strieder, ein. Damit ergeht es dem Bereich Spittelmarkt und Gertraudenstraße mit seinen geplanten 100.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche nicht anders als dem Alexanderplatz oder der „Banane“ zwischen Alexanderplatz und Jannowitzbrücke.

Gleichwohl ist man im Hause Strieder wild entschlossen, Fakten zu schaffen. Nach Abschluss des vorgeschriebenen Bürgerbeteiligungsverfahrens soll mit dem Abriss der achtspurigen Getraudenbrücke begonnen werden. Da die nördlich anschließende alte Gertraudenbrücke für den geplanten sechsspurigen Autoverkehr samt Straßenbahn nicht geeignet ist, wird sie in ihrer Mitte zerschnitten und bildet künftig die beiden Außenseiten eines neuen Brückenensembles für den Fußgängerverkehr. Dazwischen drängt sich dann ein Brückenneubau, der den Auto- und Straßenbahnverkehr aufnehmen soll. Damit werden, so sind Graetz, Jordi und Nöfer überzeugt, „die Belange des Denkmalschutzes und der Stadtgestaltung berücksichtigt“.

Dass der Beginn der Umbaumaßnahmen an der Gertaudenbrücke beginnt, hat allerdings noch einen anderen Grund. Da dieser Ort innerhalb der Grenzen des „städtebaulichen Entwicklungsbereiches Regierungs- und Parlamentsviertel“ liegt, hofft die Stadtentwicklungsverwaltung auf Gelder aus dem Bundeshaushalt. Die übrigen Infrastrukturmaßnahmen sollen durch städtebauliche Verträge und die Gewinnung von Bauland durch Straßenrückbau finanziert werden. „Insgesamt“, so Strieders Mitarbeiter Mühlberg, „ist das ein Vorhaben, das sich über die nächsten fünfzehn Jahre erstrecken wird.“

Damit sich die Gegner der Moderne schon heute ein Bild der „Reurbanisierung“ machen können, wird demnächst schon mit dem Bau einer neuen Infobox begonnen. Ganz im Geiste eines „Vorwärts in die Vergangenheit“ ist diese neue „Spittelbox“ aber nicht modern und rotmetallic, sondern zitiert die Figur der historischen Gertraudenkapelle. Die freilich war – wie das „Cöllnische Rathaus“ – nicht dem sozialistischen Städtebau mit seinen „sibirischen Schneisen“ zum Opfer gefallen, sondern der „Urbanisierung“ Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Bürgerbeteiligung zum Quartier Spittelmarkt-Gertraudenstraße beginnt am Montag um 19 Uhr mit einer Erörtungsveranstaltung in der Scharrenstraße 2-3

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