: In Bosnien gestrandet
Freiwilligen Kämpfern aus arabischen Ländern werden Verbindungen zu Bin Laden nachgesagt
aus Maglaj KARL GERSUNY
Jedem sind sie ein Begriff in Bosnien-Herzegowina, die Holzfäller von Maglaj. Dabei gelten sie weder als besonders tüchtige oder handwerklich geschickte Waldarbeiter. „Afganci“ werden sie genannt, „die Afghanen“ –Freiwillige aus arabischen Ländern, die zu Beginn des Bosnienkrieges kamen, um auf Seiten der bedrängten Muslime mitzukämpfen, und die nach Kriegsende geblieben sind. Seit dem 11. September sind die Holzfäller von Maglaj in aller Munde, als angebliche Mitstreiter von Ussama Bin Laden.
Seither veröffentlicht die Boulevardpresse Schlagzeilen über diese „dubiosen Gestalten“ und wartet mit immer neuen angeblichen Enthüllungen über diesen und jenen als Wald- und Wanderarbeiter getarnten „Terroristen“ auf. In serbischen Blättern heißt es, noch vor Kriegsbeginn im Jahre 1992 hätten sich diese Agenten mit viel Geld in die Machstrukturen der muslimischen Elite Sarajewos eingeschlichen. In der Folgezeit hätten Bin Ladens Vertraute alles erhalten, was sie wollten: geheime Trainigscamps, falsche Papiere und sogar die bosnische Staatsbürgerschaft. Die abenteuerlichsten Varianten dieser Gerüchte werden kolportiert – allen Dementis zum Trotz.
Mitarbeiter der internationalen Gemeinschaft in Bosnien warfen kroatischen und serbischen Medien den Versuch vor, das Land mit derartigen Behauptungen destabilisieren zu wollen. Ein Sprecher des internationalen Administrators Wolfgang Petritsch sagte am 20. September, radikale Kräfte würden die aktuellen Ereignisse ausnützen, um ihre Gegner zu diskreditieren. Sowohl Interpol- als auch FBI-Sprecher betonten, ihnen lägen bislang keine Anhaltspunkte für kriminelle Aktivitäten von Bin Ladens Al-Quaida-Netzwerk auf dem Balkan vor.
Der bosnische Innenminister Muhamed Besić gab allerdings zu, mit Hilfe von Interpol und ausländischen Geheimdiensten liefen derzeit gegen 13 Bürger Ermittlungen „wegen des tief begründeten Verdachts, in terroristische Aktivitäten verwickelt zu sein“. Zwei in Frankreich gesuchte Ägypter und ein in Deutschland zur Fahndung ausgeschriebener Türke seien bereits festgenommen und überstellt worden.
Im verschlafenen Städtchen Maglaj ist von der Terrorhysterie nichts zu spüren. Die Patrouillen der Nato-geführten Friedenstruppe Sfor fahren wie eh und je mehrmals täglich den schäbigen Korso auf und ab. Über Nacht will kein US-Friedenssoldat bleiben. Und nichts deutet darauf hin, dass die Amerikaner hier eine Bin-Laden-Basis vermuten.
Maglaj ist ein unwirtlicher Ort. Überall stehen Ruinen, die an die Kämpfe der Serben und Kroaten gegen die mehrheitlich muslimische Bevölkerung erinnern. Und nirgends sind die Zeichen eines Neubeginns zu sehen, kein Basar, keine Schneiderläden, keine Boutiquen wie anderswo. Die westliche Wiederaufbauhilfe kam nicht bis an die Bosna.
Auch von den Afganci fehlt jede Spur. Erst bei Einbruch der Dunkelheit treffen sich einige von ihnen in einer schäbig eingerichteten Teestube im Hinterzimmer. Befremdlich wirken diese Zusammenkünfte nach getaner Feld- und Waldarbeit, wie konspirative Versammlungen. Die bärtigen Männer in ihren weiten dunklen Kleidern beteuern, sie wollten nur ihre Ruhe vor den Einheimischen. „Wir werden zwar mit unseren Familien geduldet“, erklärt Hamza, ein etwa 30-jähriger finster dreinblickender Hühne, „aber weder unsere Mentalität verstehen sie hier noch unsern Glauben an den Allmächtigen.“ Es ist die unpersönliche Art, wie der Sudanese die Worte in gebrochenem Bosnisch spricht, die Argwohn erweckt. Noch abweisender und misstrauischer sind die anderen in der Runde. Sie nennen nicht einmal ihre Vornamen.
Die „Afganci“ aus Maglaj wollen von all den Gerüchten über Bin Laden und der Rolle, die sie im Bosnienkrieg gespielt haben sollen, nichts wissen. Offen geben sie aber zu, dass sie in der Kampftruppe für Freiwillige, „al-Mudschahed“, als einfache Kämpfer dabei waren, „aber nur zur Selbstverteidigung“. Während Hamza erzählt, nicken seine Freunde, ohne sich selbst am Gespräch zu beteiligen. Auf die Frage, wie stark die Truppe einst war und wohin die meisten der ehemaligen Kämpfer nach dem Krieg gegangen seien, weichen die Männer aus. „Die meisten gingen nach Hause, woher sie kamen, in den Libanon, nach Syrien, in den Sudan oder nach Saudi-Arabien“, erklärt Hamza, „einig auch nach Paris oder Marseille, die kamen ja auch von dort.“ Mehr verraten sie nicht. Nach offiziellen Angaben erhielten nach dem Friedensabkommen von Dayton 1995 nur 70 Personen aus der arabischen Welt die bosnische Staatsbürgerschaft – fast alle durch Heirat.
Doch was waren die Gründe für Hamza und seine Freunde, in Bosnien zu bleiben? Nein, darüber wollten sie nicht sprechen, es sei nicht die richtige Zeit dafür. Die kurze Begegnung ist zu Ende, die Männer wollen wieder unter sich bleiben. Unweit der Teestube liegt eine der beiden Discos im Ort. Die Jugendlichen sind aufgeschlossen und gesprächsfreudig. Auch sie wissen wenig über die „Afganci“. Die meisten glauben, sie seien gestrandete Menschen, „die sich ein bosnisches Mädchen schnappten, um der Armut in ihrer arabischen Heimat zu entkommen“. Nirgends findet sich ein Hinweis darauf, Araber hätten in dieser verlassenen Gegend Trainings-Camps errichtet.
Einer, der mehr wissen müsste, ist Sakib Mahmuljin, einst Kommandant für den III. Militärbezirk in der bosnischen Armee und damit zuständig für „al-Mudschahed“. „Mehr als 300 dieser Dummköpfe aus der arabischen Welt gab es nicht unter uns“, behauptet der bosnische General. „Die hatten mehr ihren Glauben im Kopf als Verstand zum kämpfen. Solche Glaubensbrüder würde jeder zum Teufel jagen, auch ein Bin Laden.“ Und dann kann sich Mahmuljin eine Bemerkung nicht verkneifen: „Wir hatten mehr Hilfe aus der westlichen Welt als von den Arabern, das muss auch mal gesagt werden. Zu mehr als zum Holzfällen taugen die ‚Afganci‘ nicht.“
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