: Analysieren geht über Demonstrieren
In der Humboldt-Uni rätselte die Linke über Reaktionen auf den Terror. Militärschlag nicht ausgeschlossen
Man sah ihm an, dass er es ernst meinte. „Ich bin doch wirklich kein Action-Typ“, seufzte Thomas Ebermann am Donnerstagabend nach fast drei Stunden Diskussion in der Humboldt-Universität. „Bless or Blame America - Zur Situation nach den Anschlägen in den USA. Was tun zwischen US-Army und al-Qaida?“ hatten die Veranstalter von der linken Wochenzeitung Jungle World gefragt, rund 500 Besucher sorgten für einen gut gefüllten Kinosaal.
Doch der offensichtlichen linken Ratlosigkeit, was zu tun sei angesichts einer möglichen US-Intervention in Afghanistan, wollte sich das schon vor mehr als zehn Jahren im politischen Streit ausgetretene Grünen-Gründungsmitglied Ebermann nicht anschließen: Einfach zuHause zu bleiben und abzuwarten sei keine Lösung, maulte der Publizist in gemütlichem Hamburgerisch, die Linke müsse vielmehr die geostrategischen Interessen analysieren, die der von Washington geschmiedeten Antiterror-Allianz zugrunde liegen. Und dabei zunächst die Ziele der rot-grünen Bundesregierung polemisch ins Visier nehmen. Ebermann: „Der größte Horror für mich wäre eine Friedensbewegung, die einerseits Frieden und andererseits Schilys Sicherheitskonzepte will.“
Eine Ansicht, die auch Katja Diefenbach, Dozentin an der Akademie der Künste, teilte. So hätten die Anschläge schon jetzt „eine katalysierende Wirkung“ entfaltet, die dafür sorge, dass sich das politische Feld nicht nur in Deutschland weiter nach Rechts verschiebe. Dem „Versuch, auf lange Sicht ein flexibles Polizei- und Kontrollregime einzuführen“, könne die radikale Linke aber nur entgegentreten, wenn sie sich nicht auf den falschen Pragamatismus einlasse, nun zwischen den vermeintlichen Alternativen Kapitalismus und Barbarei der Islamisten zu wählen. Den antiamerikanischen Kapitalismus-Kritikern, die im Saal zumindest akustisch nicht wahrnehmbar waren, warf Diefenbach vor, der Rhetorik der Islamisten auf den Leim zu gehen, wenn sie deren Anschläge bejubelten. Schließlich hätte diese doch nur „reaktionäre Antworten auf den Kapitalismus“ übrig.
Der Frage, weshalb die Sympathie für die Islamisten besonders in der deutschen Linken die Zahl der Verteidiger Israels übersteige, ging auch Anton Landgraf von der Jungle World nach. Seine These: In den meisten traditionslinken Analysen für die Anschläge spielten der Neoliberalismus oder die Dominanz der USA eine herausragende Rolle, die von fundamentalistischen Islamisten weltweit geforderte Vernichtung Israels aber werde negiert. „Die Logik hinter dem Vernichtungswunsch lautet: Fällt die USA, fällt auch Israel.“ Angesichts dieses Antisemitismus in den eigenen Reihen komme die Linke nicht umhin, so Landgraf, den Kapitalismus seinen Feinden vorzuziehen und sich auf die Seite der USA zu schlagen. Ein Dilemma, das Jungle World-Autor Deniz Yücel so beschrieb: „Wenn du auf eine Antikriegsdemo gehst, unterstützt du objektiv die Taliban. Und wenn du zuhause bleibst, bist du für die USA.“
Aber das wollte Thomas Ebermann auch am Ende der Podiumsdiskussion nicht sein. „Auch bei Linken gibt es die Sehnsucht, entweder auf Seiten des Vaterlandes oder auf der der Zivilisation gegen die Barbarei zu stehen“, kritisierte er. „Wenn die Linke aber überhaupt Linke bleiben will, muss sie materielle Interessen erforschen und nicht ihrer eigenen Betroffenheit nachspüren.“ MARKUS BICKEL
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