: Kreuzbergs gefährliche Orte
In dieser Woche beginnen die Arbeiten am Sportplatz vor dem Tempodrom. Der öffentliche Raum wird eingezäunt, das Kulturzelt gleich mit, und für den geplanten Park dahinter fehlen die Millionen
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Im Tigerkäfig
Obwohl sie dazu da sind, unsere Angst zu bannen, haftet Tigerkäfigen etwas Furcht erregendes an. Hinter den Stäben aus Eisen und Stahl bleibt es gefährlich. Der Blick durch sie hindurch geht in Abgründe.
Von einem Tigerkäfig spricht auch Franz Schulz, grüner Ex-Bürgermeister und heute Baustadtrat vonFriedrichshain-Kreuzberg, wenn er an die meterhohe Umzäunung des im Bau befindlichen Sportplatzes am Anhalter Bahnhof denkt. Die Assoziation hat doppelten Boden: Der Zaun, meint Schulz, schützt nicht vor Gefahren, sondern ist selbst gefährlich. Kommt doch durch ihn „die schöne Freifläche an der alten Bahnhofsruine hinter Gitter“, und auch der Blick auf das Neue Tempodrom, das Zirkuszelt aus Glas, Stahl und Beton „wird schrecklich verstellt“. Abgründe tun sich auf: In dieser Woche beginnt die Verlegung des künstlichen Sportrasens. Danach wird der Tigerkäfig montiert und wenn am 1. Dezember wie vorgesehen der Kulturbau unter dem Kühlturmdach eröffnet wird, werden die Besucher, womöglich fauchend, um den großen Zaun und die Flutlichtmasten herum in die Arena stapfen müssen. Tierisch daneben, bezeichnete einmal die Tempodrom-Chefin Irene Moessinger, die Käfig-Planung samt Sportplatz für das Stadtbild. Wo sonst, außer hier in Berlin, versteckte man eine „alternative Philharmonie“ hinter Eisenstäben, fragte sie rhetorisch und gab gleich die Antwort. Nirgends.
Millionen gefressen
Der Käfig, den man sich vom eigentlichen Zweck her in die Neue-Tempodrom-Manege wünscht, zieht zudem weitere Auswirkungen nach sich, vergittern doch seine Befürworter damit die Zukunft des gesamten Areals. Wegen des Zauns fehlen Gelder für die Freiflächenplanung am Sportplatz selbst und für das grüne Hochplateau südlich des Kulturzelts. Für die Gestaltung beider Anlagen, so Schulz, habe „der Bezirk keine Mark, dort in nächster Zeit etwas zu tun.“
Von den 5,5 Millionen Mark, die vom Bezirk für den Landschaftspark veranschlagt waren, „sind 2,8 Millionen weg für den Sportplatzbau“. Die Restsumme, die das Eisenbahnvermögensamt als Ausgleichsmaßnahme für Bauflächen am Landwehrkanal bereitstellen wollte, wird von der Bahn bis dato vorenthalten – wohl auch darum, weil die Gesamtfinanzierung nicht steht. Und Mittel, ebenfalls von der Bahn, in Höhe von circa 3,3 Millionen Mark als Ausgleich für die Betonmassen rund um den Potsdamer Platz darf Schulz nicht umverteilen. Sind diese doch „zweckgebunden“ für den Gleisdreieckpark – gleich hinter dem Hochplateau. Für den Baustadtrat „ein Dilemma“, aus dem er wie aus einem Käfig nicht herauskommt.
Fauler Kompromiss
Im Kreuzberger Bauamt und in der Schublade des Tempodrom-Architekten Stefan Schütz vom Hamburger Büro Gerkan, Marg und Partner liegen Pläne, die das gesamte Areal einmal anders zeigten. Hinter der Ruine des Anhalter Bahnhofs öffnete sich eine weit angelegte öffentliche Grünfläche als Entree zum Neuen Tempodrom. „Über Treppen“, so Schütz, „sollte man zu der oberen Terrasse des Bauwerks gelangen und von dort aus den gestalteten Naturpark betreten können“. Schütz sah die Anhalter Bahnhof-Fläche, Tempodrom, Terrasse und das mehrere Hektar große Hochplateau „als Einheit“.
Dass es dazu nicht kam, ist einem faulen Kompromiss geschuldet, den Schulz „bis heute nicht versteht“. Statt die Grünfläche als öffentlichen Raum zu erhalten, hatten insbesondere die SPD-Kreuzberg aber auch Teile der CDU sowie der Landessportbund (LBS) ihr Plazet für das Tempodrom davon abhängig gemacht, dass auch der geplante Sportplatz dort realisiert werden müsste. Dass die Pläne für das kleine Stadion noch aus Zeiten vor denen für den Kulturstandort stammten, focht etwa LSB-Sprecher Dietmar Bothe wenig an: Es sei nicht hinnehmbar, sagte Bothe, den Sportplatz dort zur Disposition zu stellen. Zum einen sei die Sportstätte seit Jahren geplant und zum anderen augenscheinlich, dass „in dem mit Sportflächen gering ausgestatteten Quartier“ das Stadion gebaut werden müsse.
Ort der Realsatire
Es half dem damaligen grünen Bürgermeister wenig, mit Verve, guten Argumenten und mit Hilfe der eigenen Partei am Gitter zu rütteln: Kulturzelt und Sportfläche beschädigten das Stadtbild, argumentierte etwa die Abgeordnete Mechthild Brockschnieder: „Der Sportplatz an dieser Stelle ist Realsatire.“ Und jeder, so Schulz, der an „vernünftiger Stadtplanung interessiert ist“, sehe, dass ein Sportplatz und das Tempodrom nicht zusammenpassten. Es half nichts: Die CDU stimmte 1999 im Bauausschuss mit der SPD für das Tempodrom inkusive dem Sportplatz. Als Schulz einen Alternativstandort für die Sportler nahe des Technikmuseums 1999 und 2000 ins Spiel brachte, wurde auch der abgelehnt. 2001, die Bezirke Kreuzberg und Friedrichshain waren mittlerweile fusioniert und Schulz im Amt des Baustadtrats, wurde das Konzept ein letztes Mal im Bezirk abgelehnt. Im Sommer rollten die Bagger an, senkten die Erde für das kleine Stadion ab – damit groteskerweise der fast 10 Meter hoher Tigerkäfig nicht zu hoch ausfällt. Und nun wird der Tigerkäfig hochgezogen.
Tigerkäfig Gleisdreieck
Auswirkungen werden die baulichen und finanziellen Defizite am Anhalter Bahnhof auf den geplanten Park am benachbarten Gleisdreieck haben. Zum einen fehlt es an einer Grünverbindung vom Kreuzberger Tempodrom bis nach Schöneberg. Zum anderen haben jetzt die Bauverwaltung und die Vivico, eine Tochtergesellschaft der Bahn, beschlossen, auf vier Hektar Fläche Sportanlagen im Gleisdreieck zu realisieren. Auch wird nicht lange gefackelt, bestehende Flächen und den Baumbestand dafür zu opfern – zumal das Land und die Bahn große Grundstücke am Rande des Parks zur Bebauung freigegegeben haben, wie die Bürgerinitiative West-Tangente kritisiert. Der Anhalter Bahnhof ist dann eingezäunt, das Gleisdreieck umbaut und in den Tigerkäfigen wird gebolzt, obwohl es auch ohne ginge.
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