piwik no script img

intershopWLADIMIR KAMINER über den Kampf der Kulturen

Ein Amerikaner in Berlin

Im August meldete sich ein Amerikaner bei uns. „Hey Leute, ihr veranstaltet eure Russendisko immer in so kleinen Räumen, ich habe einen großen Keller in Berlin, bei mir passen locker tausend Leute rein, lasst uns zusammen was machen!“ Warum eigentlich nicht?, dachten wir und machten mit George einen Termin aus. Am 14. September sollten wir in seinem Klub die Puppen tanzen lassen. Am 11. September knallten die Boeings in die Türme des World Trade Centers, die riesigen Staubwolken bewölkten die Fernsehschirme, alle sprachen von einem neuen Krieg.

Auch wir waren schwer betroffen, hatten jedoch gleichzeitig alle Hände voll zu tun. Die Mutter unseres DJ's Jurij beschloss, ausgerechnet am 11. September ihre Verwandtschaft in Amerika zu besuchen. Am Tag des Attentates saß sie in einem Flugzeug nach New York. Ihre Maschine wurde nach North-Carolina umgeleitet, zwei Tage vergingen, bis wir die Mutter gefunden haben. Ich hatte auch Verwandte in New York, sie erwarteten an diesem Tag, dem 11. September, Besuch aus Moskau. Wir telefonierten quasi pausenlos miteinander.

Alle Veranstaltungen in der Terrorwoche sagten wir ab oder wir verschoben sie, die Veranstalter kamen uns verständnisvoll entgegen. An diesen Tagen hatten viele Leute sowieso keine Lust zu tanzen oder sich lustige Geschichten anzuhören. Nur unser Amerikaner war eine Ausnahme. Er wollte unbedingt, dass die Veranstaltung am 14. September stattfindet, rief deswegen unseren DJ alle zwei Stunden an und redete dummes Zeug. „Hey Leute, ich bin selbst aus New York, zwei meiner besten Freunde saßen in diesen Flugzeugen, außerdem habe ich mehrere Bekannte beim Anschlag auf das WTC verloren. Aber wir dürfen trotzdem nicht aufgeben. Mein Laden läuft nicht gut, außerdem habe ich schon eine ganze Stapel Flyer und Plakate gedruckt . . .“

Langsam ging uns der Amerikaner auf den Wecker. Höflich versuchten wir ihm zu erklären, dass der 14. September europaweit zu einem Trauertag erklärt worden war, und dass uns nicht nach Tanzen zumute sei. Ob wir denn nicht wenigstens Trauer-Musik auflegen könnten?, fragte er uns. Wir mussten George versichern, dass wir auf alle Fälle in seinen Klub kommen und den Leuten selbst alles erklären würden. Ganz begeistert war er darüber nicht.

Abends, als wir schon zu ihm unterwegs waren, rief uns George noch einmal an. Er habe alles verstanden, es tue ihm leid, wir bräuchten nicht zu kommen. Er werde als Amerikaner, als Hauptbetroffener, sowieso persönlich am Eingang stehen und allen alles erklären. Wir waren erleichtert, wünschten ihm alles Gute und fuhren in die Stadt. Bis Mitternacht saßen wir dann in einer Kneipe, wo wir aktiv an einer Tresen-Diskussion über den Kampf der Kulturen teilnahmen. Alle Kulturen taten uns an dem Abend leid.

Gegen eins kamen wir auf die Idee, doch noch bei unserem amerikanischen Klubbesitzer vorbei zu schauen, um ihn gegebenenfalls ein bisschen zu trösten. Bestimmt sitzt er dort jetzt alleine und trauert, dachten wir. Unsere Vermutungen erwiesen sich jedoch als vollkommen falsch. Im Klub wurde laute russische Musik gespielt, die nicht gerade traurig klang, zwei Dutzend Gäste trampelten auf dem Tanzboden herum, und unser George hatte nicht einmal unsere Plakate abgehängt. Stattdessen hatte er einen DJ aufgerissen, der uns ersetzen sollte. Als George uns sah, wurde er ein wenig nervös, doch wir machten ihm keine Vorwürfe. Immerhin war er der Amerikaner, also der Hauptbetroffene.

„Ich verstehe euch auch vollkommen“, sagte er, „aber das Business geht vor, mein Laden steht kurz vor dem Bankrott . . . Wann machen wir denn nun die nächste Veranstaltung zusammen?“ Wir zuckten nur mit der Schulter. Zuerst müssen die Türme wieder aufgebaut werden, meinte Jurij, und dann . . . werden wir weiter sehen, antworteten wir George.

Am nächsten Tag wurde in Amerika die allgemeine Flugsperre aufgehoben und Jurijs Mutter konnte endlich ihre Amerika-Reise fortsetzen. Nach New York wollte sie jedoch nicht mehr – sie flog dann gleich weiter zu Verwandten nach San Fransisco.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen