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Ein gefallener Held sucht seine Moral

Oliver Bierhoff vergibt in der zweiten Halbzeit gegen Finnland einen Sack voll Chancen zur persönlichen Rehabilitation

GELSENKIRCHEN taz ■ „Ihm ist es nicht gelungen, das goldene Tor zu schießen.“ Präziser als mit diesem Satz von Teamchef Rudi Völler lässt sich die Misere des Oliver Bierhoff kaum in Worte fassen. Wenn nämlich einer Spezialist für goldene Tore ist, dann jener Bierhoff, der 1996 die deutsche Berti-Bande per Golden Goal zum Europameistertitel schoss. Die Edelmetall-Flaute des 33-jährigen Stürmers vom AS Monaco beim 0:0 gegen die Finnen passt zu einem Jahr, das den mutmaßlichen Exkapitän der deutschen Nationalmannschaft an die Anfangszeiten seiner Karriere erinnern dürfte, als er erst in der Bundesliga, dann in Europa herumgereicht wurde und Misserfolg an Misserfolg knüpfte.

Die Partie in Gelsenkirchen enthielt alles, was Bierhoffs Misere ausmacht. Zunächst wurde das Spiel komplett an ihm vorbei organisiert. Was ist ein Kopfballspieler ohne Flanken, ein Strafraumstürmer ohne Strafraum? Überflüssig! Wenn er versuchte, sich ins Spiel einzuschalten, unterliefen ihm die typischen technischen Fehler und Abspielpannen, forciert durch das ungnädige Raunen der Zuschauer, sobald er den Ball bekam. Das Einzige, wozu Oliver Bierhoff taugte, war der Katalysator für den Unmut des Publikums.

Doch dann war da plötzlich der andere Bierhoff. Jener, der genau am richtigen Platz ist, wenn die Bälle kreuz und quer durch die Abwehr hoppeln, und dann nicht lange fackelt. Zweimal Latte, ein von Keeper Niemi glänzend gehaltener Kopfball, ein ebenfalls gehaltener Direktschuss aus kurzer Entfernung – aber kein Tor und damit versagt. „Ich habe ihn gefragt, wie er den Ball aus vier Metern nicht reinbringt?“, musste er sich dummdreist von DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder anblaffen lassen. „Ich hätte jede Chance nutzen müssen“, meinte Bierhoff zwar selbstkritisch, sprach aber auch von „Pech“. Doch Pfostenschüsse sind kein Pech, sondern einfach schlecht gezielt, und große Torjäger zeichnen sich gerade dadurch aus, dass ihnen solch Missgeschick selten unterläuft.

Für die Zuschauer gab er von vornherein den Buhmann ab. „Wenn von den Medien an einem Spieler gekratzt wird, dann ist das einfach für das Publikum“, weiß Bierhoff, „das habe ich schon mit Klinsmann erlebt.“ Seit Monaten rückt ihm der Boulevard, welcher die Demontage intelligenter Fußballer und das Zählen torloser Minuten liebt, aber auch die seriösere Presse auf den Pelz, schrieb ihn schlecht, wenn er beim AC Mailand gar nicht übel spielte, oder schmähte ihn, wenn er auf der Bank saß, obwohl dies im dortigen reich besetzten Kader allen Akteuren außer Maldini und dem ukrainischen Schreckgespenst Schewtschenko regelmäßig widerfuhr.

Von Rudi Völler kann Oliver Bierhoff besondere Rückenstärkung nicht erwarten, denn er ist nicht der spielende Stürmertyp, den der Teamchef schätzt. „Wir müssen uns auch auf dem Boden durchsetzen“, lautet dessen Devise. „Als Torjäger bist du entweder der Held oder . . .“, formulierte Völler nach dem Finnland-Match und suchte dann nach einem Wort, das nicht gerade Depp oder Esel hieß. Er entschied sich für „Loser“ und fügte hinzu: „Leider war er heute nicht der Held.“

Endgültig der Loser war er, als Beckham die Deutschen in die Relegation geschossen hatte, was Bierhoff kaum verwunderte. „Ich habe gewusst, dass ich auf Schalke bin, einem Ort, an dem man sich schon mal zu früh gefreut hat.“ Ohnehin war für ihn wichtiger: „Wir hätten hier gewinnen müssen – weil man als Deutschland zu Hause gegen Finnland gewinnen muss und um Moral zu bekommen.“ Eine Moral, die vor allem er selbst dringend gebraucht hätte. MATTI

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