: Angst und Zweifel nach Gegenschlag
Berliner Schüler reagieren sehr unterschiedlich auf die Angriffe der USA in Afghanistan. Viele haben einfach nur Angst vor einer Ausweitung des Konflikts nach Deutschland. Andere kritisieren vehement die Politik der USA
BERLIN taz ■ Mitgekriegt hat sie es in der U-Bahn, gleich noch am selben Abend. „Der Krieg hat begonnen“ stand am Sonntag auf den Bildschirmen, die überall in den Wagen hängen. „Oh Gott, jetzt geht es los“, habe sie da nur gedacht. Angst? Natürlich. „Wir wissen ja nicht, ob wir da mit reingezogen werden.“ Es ist das einzige Mal, dass sich Davina Julitz zu Wort meldet. Ansonsten hört sie still dem zu, was ihre MitschülerInnen sagen.
Vordergründig ist in der 13. Klasse des Berliner Lessing-Gymnasiums an diesem Montagmorgen nach dem Beginn der amerikanischen Bombenangriffe in Afghanistan von Angst nichts zu spüren. Aber die gespannte Aufmerksamkeit, mit der alle der Diskussion folgen, lässt ahnen, dass das Thema viele beschäftigt. Auch die große Menge an Informationen, die die Schüler über den aktuellen Stand der Dinge im Gespräch austauschen, spricht dafür.
Das Lessing-Gymnasium liegt in Wedding, einem der Stadtteile Berlins mit überdurchschnittlich vielen arabischstämmigen Bewohnern. Mehr als die Hälfte der Schüler sind „nicht-deutscher Herkunftssprache“, wie das im Behördendeutsch so schön heißt. Die aktuellen Ereignisse und Diskussionen wie um den „Krieg der Kulturen“ erhalten dadurch im Alltag der Schüler eine ganz eigene Brisanz.
Der Politik-Leistungskurs der 13. Klasse debattiert die Pläne der Amerikaner, die Reaktionen der Taliban, aber auch die innenpolitischen Folgen wie zum Beispiel die Rasterfahndung.
Hitzig wird es bei der Frage nach dem Islam. „Da wird doch überhaupt kein Unterschied zwischen den verschiedenen Richtungen des Islam gemacht,“ kritisiert der 18-jährige Daniel Z., der selbst Moslem ist. Sein Vater kommt aus dem Libanon, besitzt aber ebenso wie Daniel die deutsche Staatsbürgerschaft. Sein türkischer Mitschüler Sevzi Kücükel hat der Diskussion bisher schweigend zugehört, mischt sich jetzt aber ein: „Über meinen Islam wissen die meisten doch gar nichts. Alle sprechen vom Dschihad, ohne zu wissen, was das genau ist, geschweige denn, was darüber im Koran steht,“ erregt er sich. Daniel ergänzt: „Und in der BZ steht dann ‚Alle Islamisten bedrohen uns‘, was zu blöden Kommentaren in der U-Bahn über ‚die‘ Araber oder ‚die‘ Islamisten führt.“
Die Diskussion gerät ins Stocken, als es um die Bombardements der Amerikaner in Afghanistan geht. Können sie wirklich den weltweiten Terrorismus bekämpfen? Thomas Iversen fällt es sichtlich schwer, sich zu einer eindeutigen Antwort durchzuringen. „Es wird so wenig über die Ursachen geredet, dabei kann man nur zu einer langfristigen Lösung kommen, wenn man auch die Gründe für Terrorismus beseitigt.“ Für den hochaufgeschossenen 18-Jährigen ist aber auch klar, dass das US-Militär „nicht einfach die Hände in den Schoß“ legen konnte.
Szenenwechsel, Dienstagmorgen in der Klasse 10.2 der Heinrich-von-Stefan-Schule in Moabit. Hier in der Deutschklasse ist mehr als die Hälfte der Schüler muslimischen Glaubens. Der Aufruf Bin Ladens zum heiligen Krieg aller Moslems gegen Christen und Juden lässt die Sechzehnjährigen allerdings ziemlich kalt, auch wenn sie die Videoaufzeichnung alle kennen. „Der versucht doch nur, alle aufzuhetzen, aber das wird nichts bringen,“ ist sich Aziz Akmaz sicher. „Gegen die USA würde noch nicht mal ich kämpfen,“ wirft Raschid Shoraidek ein, „die sind doch so stark, da hat man überhaupt keine Chance.“
Trotz der Attentate in New York finden die meisten Schüler die Angriffe der USA in Afghanistan falsch. Quer durch den Raum hagelt es Argumente: „Da sterben doch nur wieder die, die unschuldig sind und gar nichts damit zu tun haben.“ „Aber die müssen doch was machen, sonst machen die Terroristen das immer wieder!“ „Bush will sich doch einfach nur rächen, sonst nichts!“
Angst vor einem Krieg haben die Schüler in Moabit angeblich nicht, zu weit weg scheint ihnen der Ort des Geschehens. Raschid Shoraidek zuckt nur grinsend mit den Schultern. „Sterben müssen wir sowieso alle mal, das gehört zum Leben dazu. Wenn‘s kommt, dann kommt‘s halt.“ Naja, räumt er nach ein paar Sekunden ein bisschen leiser ein, ein bisschen blöd wäre es schon, wenn das jetzt in Deutschland losginge. SUSANNE AMANN
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