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: Der gerechte Krieg und seine Opfer

Die Illusion vom sauberen Krieg der USA gegen die Taliban ist gestern Morgen geplatzt, schnell, heftig und eindeutig. Vier Zivilisten in Kabul, ausgerechnet UNO-Mitarbeiter, getötet von einer US-Bombe. Damit ist die stille Hoffnung passee, dass die USA eine eher symbolische Aktion im Sinn hatten. Die Angriffe gehen weiter, ein Ende ist nicht absehbar. Abwarten ist, spätestens seit gestern Morgen, keine taugliche Haltung mehr.

Für die Grünen, die sich auf Joschka Fischers Linie festgelegt haben, sind die Toten ein unvermeidlicher Nebeneffekt des legitimen, antiterroristischen Kampfes der USA – eine aparte Haltung für eine Partei, die sich sehr lange ihren Pazifismus zugute hielt. Und für die USA ist dies ein PR-Debakel, ein „Kollateralschaden“, der an das Fiasko der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad erinnert. Hier wie dort trafen die US-Waffen ausgerechnet jene, die man als Verbündete braucht. Doch die weitgespannte Anti-Terror-Koalition wackelt noch nicht.

Und trotzdem sind diese Opfer ein Vorschein des Kommenden. Die USA drohen weiter mit Angriffen auf andere Länder. Je größer aber die Eskalationsgefahr, desto fragiler das Bündnis, das die USA so sorgsam geschmiedet haben.

Um diesen Krieg zu verstehen, nützt vielleicht ein Blick zurück: Wie der Kosovo-Konflikt wird auch der Kampf gegen Bin Laden nicht militärisch entschieden. Die USA sind dem Gegner technisch weit überlegen – entscheidend ist weniger Schlagkraft als Glaubwürdigkeit, wesentlich ist der Nachweis, dass Mittel und Ziel, dass Opfer und Nutzen in einem vertretbaren, rational begründbaren Verhältnis stehen. Im Kosovo war der Gegner vergleichsweise klar zu identifizieren. In Afghanistan existiert hingegen nur eine reduzierte Form von Staatlichkeit, ganz zu schweigen davon, dass die Aktion eigentlich nicht den Taliban, sondern einer Bande von Terroristen gilt.

In diesen diffusen Verhältnissen wird die Unterscheidung von Zivilist und Feind umso schwerer. Deshalb wirkt der Tod der vier UN-Mitarbeiter wie ein Menetekel, wie ein Zeichen, dass der Versuch, Terroristen mit Raketen zu bekämpfen, ein furchtbares Missverständnis ist. Ein linksliberaler Kommentator formulierte eine bemerkenswerte Rechtfertigung des US-Angriffs: „In Afghanistan sterben auch Unschuldige, wie in jedem Krieg. Auch die Toten in Afghanistan sind Opfer der Terroristen.“ Das ist, zugespitzt, die Fischer-Linie. Und ein dialektischer Trick, nahe an Kriegspropaganda: Schuld ist der Feind, immer. Mit jedem toten Zivilisten mehr in Kabul wirkt diese Haltung unangemessener, unglaubwürdiger, unmoralischer. STEFAN REINECKE