der phantomschmerz des roten stern von RINGEL, RÖNNEBURG, SOTSCHECK:
In diesem Jahr sollte es eine „nachdenkliche Buchmesse“ werden. Das wurde sie dann auch: Am ersten Abend grübelten wir noch, warum wir uns diesmal das Trappistenschnitzel angetan hatten. Ein Berg aus Käse, viel Fett und wenig Schwein, laut Speisekarte nach einem „Rezept aus dem Mutterhaus der Missions Benediktinerinnen in Tutzing am Starnberger See – in Butterfett gebacken“. TOM und Björn Blaschke waren die Einzigen, die das fettige Mahl bewältigten und zum Abschluss noch die Teller ableckten. Zehn Minuten später sahen die hartgesottenen Esser aus, als habe man sie von Kopf bis Fuß mit Butter eingerieben. „Ich trinke schon auf der Speiseröhre“, stöhnte TOM.
Auf der Buchmesse selbst spielten sich ähnlich ölige Szenen ab. Eine Gedenkminute, die per Lautsprecher angekündigt wurde, nutzte die geistige Elite des Landes, um als Schwenkfutter zu dienen und vor den Fernsehkameras die Köpfe zu senken. Da es sich um eine Open-End-Gedenkminute handelte, steht so mancher noch heute senkköpfig da. Wahrheitklub-Exilvorstand Rönneburg hingegen ignorierte nicht nur die Anweisung zum Schweigen, sondern auch die zum Stillstehen und eilte, fröhlich summend, unter den bösen Blicken verstummter linker Verleger durch die Gänge: Soeben hatte ihr runder Verleger Vincent Klink telefonisch bekannt gegeben, er sei mit einer Kiste leckerer Getränke eingetroffen.
Die neue Halle ist zwar lichter und röhriger, wenn auch nicht luftiger, weist aber Merkwürdigkeiten auf. So eine Geheimtoilette, auf die ein kryptisches Schild hinweist: „Handwerker Pinselwäsche.“ Noch merkwürdiger: Im ersten Stockwerk saßen zwei deprimiert wirkende Herren in einem winzigen Verschlag ohne Bücher. Allein zwei mit Kugelschreiber beschriftete Zettel legten nahe, dass die beiden zu den Ausstellern gehörten: „Psychosozialer Verlag“ hieß es auf den Wänden des Kabuffs.
Dass die Buchmesse ein wohlfeiles Ziel für mögliche terroristische Anschläge sein würde, stand von vorneherein fest. Die trügerische Ruhe war schlagartig vorbei, als Taliban-Sympathisant DJ Schnitte seinen ersten Anschlag verübte. Ausgerechnet auf der Titanic-Party wälzten sich hunderte Menschen auf dem Tanzboden des Kiss-Kiss-Clubs. Der Lärm war unerträglich. Anthrax-Musik zwängte sich in den Saal, dass es nur so schlotterte. Andere Opfer wie Wiglaf Droste und Ralf Sotscheck drängten ihre Bäuche eng aneinander, um ihren Bierflaschen in der weichen Mitte Schutz zu geben. Der ansonsten wenig tanzbegeisterte Michael Ringel verwandelte sich durch die ohrenbetäubende Soulmusik in eine veitstanzende Dancing Queen. Es gibt viele fassungslose Zeugen.
„Schotten dicht“, schallte es vor Beginn des Wahrheit-Klubtreffens durch die Nachbarhalle. „13.50 Uhr“, warnte die hysterische Stimme von KD Wolff die Verlagsmitarbeiter, „gleich kommen die Verrückten!“ Das Rollgitter sauste herab. Der Wassergraben wurde geflutet. Es war dem knuffigen Verlagschef entgangen, dass sich sein Stand diesmal nicht mehr gegenüber der taz befand, und er schämte sich beträchtlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen