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Alles schaut auf Ullrich

Obwohl die deutsche Nationalmannschaft annähernd mit dem Team Telekom identisch ist, gelingt es ihr nicht, ihren Kapitän zum WM-Titel zu ziehen. Darüber freut sich vor allem Oscar Freire Gomez

aus Lissabon MARTIN KRAUSS

So ganz war die deutsche Mannschaft dann doch nicht die Fortsetzung des Teams Telekom mit anderen Mitteln. Dabei waren am Schluss des Männerrennens am Sonntag bei der Rad-WM in Lissabon die bekanntesten und besten Telekom-Radler durchaus noch vorne mit dabei im Feld, Jan Ullrich und Erik Zabel nämlich. Das Problem aber war, dass nur sie es waren, und nicht mehr all die Kollegen vom Bonner Kommunikationsunternehmen, die sonst an der Spitze des Hauptfeldes Hinterrad an Vorderrad rasen. „Ich war ja leider mit Erik allein in der Spitzengruppe“, sagte Jan Ullrich, nachdem er als enttäuschter 13. ins Ziel gerollt war, „da war keine Unterstützung mehr da. Das ist ein bisschen schlecht gelaufen.“ Neuer Weltmeister wurde, wie schon vor zwei Jahren, der Spanier Oscar Freire Gomez, der –wohlgemerkt ohne Hilfe seines eigentlichen Arbeitgebers Mapei – den Spurt des Hauptfeldes im exakt richtigen Augenblick anzog und am Italiener Paolo Bettini, dem Slowenen Andrej Hauptman, dem Niederländer Erik Dekker sowie dem geschlagenen Sprinter Erik Zabel mehr oder weniger vorbeiflog.

„Schon beim Antritt habe ich bemerkt, dass es heute nicht passt“, bemerkte Zabel nach dem Rennen, „dabei hatte ich hinter dem Holländer Erik Dekker eigentlich eine optimale Position.“ Zweimal ging Zabel aus dem Sattel, um den Spurt anzuziehen, zweimal merkte er, dass es nichts werden sollte. „Aber dass ich so ’ne Chance bekommen würde, in diesem Rennen Erster zu werden“, sagte er kaum frustriert, „hätte ich sowieso nicht erwartet.“ Zumal: „Das Rennen war sehr schwer, vielleicht einen Tick zu schwer für mich. Ich hatte schon geglaubt, dass ich mir ab Runde zehn den Rest in der Box ansehe, und habe mich dann immer nur gewundert, dass ich immer noch drin bin.“

Einmal war Zabel tatsächlich als „ausgeschieden“ vermeldet worden, aber nicht nur diese Falschmeldung, sondern auch einen Raddefekt in Runde 16 steckte der 31-Jährige weg. Da zu diesem Zeitpunkt schon vier der insgesamt zwölf deutschen Fahrer ausgeschieden waren, musste Zabel ganz auf sich gestellt für den Anschluss ans Feld sorgen. Nach 21 Runden kamen insgesamt nur drei Deutsche ins Ziel – außer Zabel und Ullrich noch Matthias Kessler, auch er hauptberuflich ein Telekom-Profi.

„Ich habe einige Male versucht wegzufahren“, berichtete Ullrich, „aber die anderen Favoriten haben sich immer nur angeguckt, und wenn ich aufgehört habe zu treten, haben sie auch aufgehört.“ Auf eine Alleinfahrt wiederum wollte es der Merdinger nicht ankommen lassen, vielleicht Ergebnis dessen, dass Ullrich sich völlig mannschaftsdienlich präsentierte: Anders als noch vor seinem Titelgewinn beim Einzelzeitfahren am Donnerstag hatte Ullrich sich nicht auf einem Extragestell im Hotelzimmer heiß gefahren, sondern war in der deutschen Gruppe mit Erik Zabel, Jens Voigt, Jörg Jaksche und den anderen Kollegen, zum größten Teil vom Team Telekom, gut gelaunt und tratschend durch Lissabon geradelt. Als es dann aber langsam ernster wurde und der Start nahte, war die deutsche Mannschaft die einzige unter den 33 Teams, die sich in ihrer Box verbarrikadierte: Ein Laken wurde vorgezogen, Vor-Start-Interviews konnten die deutschen Medienschaffenden somit nur mit ausländischen Fahrern führen, die professionell und gerne Rede und Antwort standen.

Nach dem Rennen waren Platz fünf und 13 zum Abschluss der WM nicht schlecht genug, als dass sich das deutsche Team nicht ans abschließende Feiern hätte begeben können, abends im Mannschaftshotel wurde zumindest noch angestoßen. Ullrichs WM-Titel im Einzelzeitfahren und das Silber des Erfurter U-23-Fahrers Sebastian Lang, ebenfalls im Einzelzeitfahren, blieben zwar die einzigen Medaillen für das Team des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), aber zusammen mit dem vierten Platz von Judith Arndt (Frankfurt an der Oder) im Straßenrennen der Frauen und Rang fünf von Zabel fiel die Bilanz insgesamt gut aus. Vor allem hatte sich eine klare Arbeitsteilung herauskristallisiert: Während sich mit Mario Kummer und dem Belgier Rudy Pevenage zwei sportliche Leiter aus dem Hause Telekom um die Mannschaft der Profis kümmerten – die Organisation hatte passenderweise BDR-Vize Olaf Ludwig, im Hauptberuf Telekom-Pressesprecher, übernommen –, blieb den Bundestrainern nur noch der unpopuläre und weitgehend unbekannte Rest.

„Der Verband hat die Aufgabe, sich um die jüngeren Leute zu kümmern“, akzeptierte zumindest der für die Frauen zuständige Übungsleiter Jochen Dornbusch schnell die neue Rolle. Und er weiß auch, dass sein momentanes Aushängeschild Judith Arndt bald zwar besser fahren wird, aber nicht mehr bei kommerziell unlukrativen Terminen wie einer Weltmeisterschaft. „Sie wird irgendwann, wahrscheinlich bald, einen Profivertrag unterschreiben“, sagt Dornbusch, „dann muss sie deren Programm fahren und steht nicht mehr im bisherigen Umfang dem Verband zur Verfügung. Das ist bei den Männern ja genauso: Der Bundestrainer wird ja nicht finanziert, damit er mit Ullrich spazieren fährt, sondern er muss sich um den Nachwuchs kümmern.“ Den wichtigsten Job in der radsportlichen Repräsentation der Nation wird derweil von denen erledigt, die ihn auch im Hauptberuf machen – von der magentafarbenen Kolonne.

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